Entscheidungsstichwort (Thema)
Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung: Zwangsläufigkeit der Aufwendungen, Ausfall des Kostenerstattungsanspruchs wegen Insolvenz des Beklagten
Leitsatz (redaktionell)
- Zivilprozesskosten können unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hat (Anschluss an BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015).
- Der Umstand, dass die obsiegende Partei aufgrund der Insolvenz des Beklagten letztlich die gesamten Rechtsanwaltskosten und Gerichtskosten (Zweitschuldnerhaftung) tragen muss, führt nicht dazu, dass die hinreichende Erfolgsaussicht (teilweise) rückwirkend entfällt.
- Die am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Norm des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. des AmthilfeRLUmsG ist gemäß § 52 Abs. 1 EStG erst ab dem Veranlagungszeitraum 2013 anwendbar.
- Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO im Hinblick auf die anhängigen Revisionsverfahren VI R 69/12 und VI R 70/12 ist nicht geboten.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1; EStG i.d.F. des AmthilfeRLUmsG § 33 Abs. 2 S. 4; EStG i.d.F. des AmthilfeRLUmsG § 52 Abs. 1; FGO § 74
Streitjahr(e)
2011
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes – EStG –.
Die Klägerin erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Ratsmitglied, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Apothekerin sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Die Klägerin ist von ihrem Ehemann geschieden. Nach der Scheidung kam es zu einer Vielzahl gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den geschiedenen Eheleuten, die überwiegend mit dem Zugewinnausgleich und dem nachehelichen Unterhalt im Zusammenhang standen. Dabei wurde aus den jeweils erwirkten Titeln regelmäßig die Zwangsvollstreckung betrieben. Über das Vermögen des geschiedenen Ehemannes der Klägerin ist zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
In ihrer Einkommensteuererklärung für 2010 machte die Klägerin Gerichtsgebühren i. H. v. 260 € (Rechnungen vom 11. August und 10. Dezember 2010, Blatt 26 ff. der Gerichtsakte) und Rechtsanwaltskosten i. H. v. 1.798,92 € (Kostenrechnung vom 3. September 2010, Blatt 25 der Gerichtsakte) – insgesamt 2.059 € – als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Aufwendungen standen im Zusammenhang mit einem Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht – OLG – A, dass die Klägerin im Anschluss an eine familienrechtliche Streitigkeit vor dem Amtsgericht – AG – B gegen ihren geschiedenen Ehemann geführt hatte. Der Beklagte ließ die Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid vom 23. Dezember 2011 nicht zum Abzug zu.
Dagegen legte die Klägerin rechtzeitig Einspruch ein und verwies auf das Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 234, 30, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2011, 1015 mit weiteren Nachweisen). Mit Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2012 wies der Beklagte den Einspruch unter Berufung auf den Nichtanwendungserlass vom 20. Dezember 2011 (BStBl I 2011, 1286) als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 5. Juli 2012 Klage erhoben. Sie trägt ergänzend vor, dass sie und ihr geschiedener Ehemann in den Jahren nach der Ehescheidung mehrere Zivilprozesse gegeneinander geführt hätten. Daraus seien wechselseitig eine Vielzahl von Titeln erwachsen, aus denen in der überwiegenden Zahl der Fälle auch die Zwangsvollstreckung betrieben worden sei. In den Jahren 2009 und 2010 habe sie einen Rechtsstreit gegen ihren geschiedenen Ehemann geführt, in dem sie die Herausgabe vollstreckbarer Ausfertigungen von gegen sie ergangenen Urteilen bzw. die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung beantragt habe. Sie habe sämtliche Forderungen beglichen gehabt, sich nach den Erfahrungen der Vergangenheit aber gegen unzulässige Zwangsvollstreckungen schützen müssen. Da ihr geschiedener Ehemann die Titel nicht freiwillig herausgegeben habe, sei das Verfahren vor dem Familiengericht B geboten gewesen. Sie habe überwiegend obsiegt (AG B, Beschluss vom 24. Februar 2010, Blatt 5 ff. der Gerichtsakte). Dies gelte auch für das Beschwerdeverfahren vor dem OLG A (Beschluss vom 9. August 2010, Blatt 15 ff. der Gerichtsakte). Da über das Vermögen ihres geschiedenen Ehemannes ein Privatinsolvenzverfahren eröffnet worden und nicht davon auszugehen sei, dass sie die Kosten erstattet bekomme, habe sie die Gerichts- und Anwaltskosten selbst zu tragen.
Der Abzug der Aufwendungen sei nach dem BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) gerechtfertigt. Auf den Streitgegenstand komme es ebenso wenig an wie auf die Frage der Unausweichlichkeit der Prozesskosten. Sie, die Klägerin, habe sich auch nicht mutwillig ...