Entscheidungsstichwort (Thema)
Ankauf unverzollter und unversteuerter Zigaretten – Verwertung einer im Jahr 2007 durchgeführten Telefonüberwachung im Besteuerungsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
§ 393 Abs. 3 AO in der Fassung des JStG 2008 kann nicht vor Inkrafttreten der Änderung des § 100a StPO durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 als selbständige gesetzliche Grundlage für eine Verwertung der Aufzeichnungen über eine im Jahr 2007 durchgeführte Telefonüberwachung in einem offenen Besteuerungsverfahren (Haftung für Tabak- und Einfuhrumsatzsteuer wegen des Ankaufs unverzollter und unversteuerter Zigaretten) angewendet werden.
Normenkette
AO i.d.F. des JStG 2008 § 71; AO i.d.F. des JStG 2008 § 191 Abs. 1 S. 1; AO i.d.F. des JStG 2008 § 393 Abs. 3; StPO i.d.F. v. 21.12.2007 § 100a Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 10 Abs. 1, 2 S. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Das Amtsgericht A verurteilte den Zeugen B am 31. August 2011 wegen Steuerhehlerei in mehreren Fällen. Dabei ging es in tatsächlicher Hinsicht unter anderem davon aus, dass der Zeuge B am 31. Juli 2007 100 Stangen, am 1. August 2007 15 Stangen sowie am 29. August 2007 40 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten an den Kläger verkauft habe. Ferner stellte es fest, dass der Zeuge B am 29. August 2007 140 Stangen sowie am 28. September 2007 50 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten an den mittlerweile verstorbenen C verkauft habe.
Das beklagte Hauptzollamt nahm den Kläger mit Haftungsbescheid vom 20. Dezember 2011 auf Zahlung von 1.269,50 € Zoll, 5.251,60 € Tabaksteuer und 1.657,77 € Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch, weil er die Verkäufe von 140 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten am 29. August 2007 sowie von 50 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten am 28. September 2007 von dem Zeugen B an C vermittelt habe.
Den gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch wies das beklagte Hauptzollamt mit Entscheidung vom 13. März 2012 zurück. Es führte aus: Der Kläger habe die Verkäufe von 140 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten am 29. August 2007 sowie von 50 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten am 28. September 2007 von dem Zeugen B an C vermittelt. Dies folge aus den Feststellungen des Amtsgerichts A in seinem Strafurteil vom 31. August 2011 und aus den Protokollen über die durchgeführte Telefonüberwachung. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse seien verwertbar, weil § 393 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) in der Fassung des Art. 14 Nr. 6 des Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) vom 20. Dezember 2007 (BGBl I, 3150, 3172) in allen noch offenen Fällen angewendet werden könne.
Der Kläger trägt mit seiner Klage vor: Er sei an den Zigarettengeschäften des Zeugen B mit C nicht beteiligt gewesen. Die Feststellungen des Amtsgerichts A in seinem Strafurteil gegen Zeuge B dürften nicht verwertet werden, weil sich dessen angebliches Geständnis nicht nachvollziehbar aus den Akten ergebe. Das Strafurteil sei auch nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden. Die Erkenntnisse aus der durchgeführten Telefonüberwachung dürften nicht verwertet werden, weil seinerzeit § 100a der Strafprozessordnung (StPO) die Anordnung einer Telefonüberwachung nicht wegen des Verdachts einer Steuerstraftat zugelassen habe.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 20. Dezember 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. März 2012 aufzuheben.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt es vor: Die Protokolle über die durchgeführte Telefonüberwachung des Zeugen B dürften verwertet werden, weil § 393 Abs. 3 AO in der Fassung des Art. 14 Nr. 6 JStG 2008 in allen noch offenen Fällen angewendet werden könne.
Das Gericht hat Beweis durch die Vernehmung des Zeugen B erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15. Oktober 2012 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Haftungsbescheid vom 20. Dezember 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. März 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte Hauptzollamt hat den Kläger zu Unrecht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen.
Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begangen hat oder an einer solchen Tat teilgenommen hat, kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (§§ 191 Abs. 1 Satz 1, 71 AO). Eine Steuerhehlerei begeht u.a., wer dabei hilft, Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, abzusetzen.
Im Streitfall kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger bei dem Absatz von 140 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten am 29. August 2007 sowie von 50 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten am 28. September 2007 durch den Zeugen B geholfen hat. Der Kläger bestreitet dies. Er trägt vor, er sei an den Zigarettengeschäften des Zeugen B mit ...