Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlungen im Rahmen einer Kapitalabfindung aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung als steuerbare sonstige Einkünfte i. S von § 22 EStG
Leitsatz (redaktionell)
- Eine im Jahr 2009 ausgezahlte Teilkapitalabfindung eines berufsständischen Versorgungswerks für Beitragsleistungen bis zum 31.12.2004 ist als „andere Leistung” i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG i.d.F. des AlteinkG anzusehen, die mit einem Anteil von 58 v. H. der nachgelagerten Besteuerung zu unterwerfen ist.
- „Andere Leistungen” i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG müssen nicht wiederkehrend sein.
- Die unechte Rückwirkung des AlteinkG auf vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossene Verträge ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
- Eine unzulässige Doppelbesteuerung liegt erst vor, wenn die Rentenversicherungsbeiträge aus versteuertem Einkommen die steuerfreien Renteneinkünfte übersteigen.
- Eine Tarifbegünstigung der Teilkapitalabfindung nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG kommt nicht in Betracht.
Normenkette
EStG § 22 Nr. 1 Sätze 1, 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa, § 24 Nr. 1, § 34 Abs. 1, 2 Nrn. 2, 4; EStG a.F. § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 2; AO § 165 Abs. 1 S. 2 Nrn. 3-4; GG Art. 20 Abs. 3
Streitjahr(e)
2009
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob Zahlungen im Rahmen einer Kapitalabfindung aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung als steuerbare sonstige Einkünfte i. S von § 22 des Einkommensteuergesetzes -EStG- zu erfassen sind.
Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der am „...” Februar 1949 geborene Kläger ist von Beruf „B-Beruf”. Von dem Versorgungswerk der „B” erhielt er im März 2009 eine einmalige Kapitalleistung in Höhe von 350.642,34 EUR. Außerdem bezog er im Zeitraum März bis Dezember 2009 ein vorgezogenes Altersruhegeld in Höhe von 2.420,10 EUR.
Im Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 4. März 2011 erfasste der Beklagte 58 v. H. der Kapitalabfindung, d.s. 203.372,- EUR, als steuerpflichtige Einkünfte. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung.
Zur Begründung führten sie aus, die Kapitalabfindung sei nicht steuerpflichtig. Es handele sich weder um eine Leibrente i. S von § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG noch um eine andere Leistung i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG, weil die Kapitalabfindung eine Einmalzahlung und keinen wiederkehrenden Bezug darstelle. Ein Jahresbetrag einer Rente i. S. der Vorschriften liege ebenfalls nicht vor. Darüber hinaus stelle die Besteuerung der Kapitalabfindung eine unzulässige echte Rückwirkung dar. Denn vor dem 1. Januar 2005 zugeflossene Kapitalabfindungen aus berufsständischen Versorgungswerken seien unter den Voraussetzungen von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. analog zu Leistungen aus Kapitallebensversicherungen als steuerfrei behandelt worden. Der Grundsatz der Steuergerechtigkeit werde daher verletzt, wenn eine Kapitalzahlung, die im Jahr 2004 vollständig steuerfrei gewesen sei, nach dem Jahr 2004 unter Anwendung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit einem jährlich ansteigenden steuerpflichtigen Anteil erfasst werde. Da vorliegend sämtliche Beiträge zur Finanzierung der Kapitalzahlung aus der Zeit vor dem 1. Januar 2005 stammten, sei die Kapitalzahlung steuerlich genauso zu behandeln wie ein Altvertrag einer Kapitallebensversicherung.
Die Behandlung der Kapitalabfindung als steuerpflichtig verstoße außerdem zum Teil gegen das Verbot der Doppelbesteuerung. Denn der Kläger habe im Zeitraum 1981 bis 2004 Beiträge in Höhe von insgesamt 194.899,64 EUR in das Versorgungswerk entrichtet; durch die Kapitalabfindung ergebe sich ein Ertrag in Höhe von 155.742,70 EUR (= 350.642,34 EUR abzgl. 194.899,64 EUR). Bei Zugrundelegung eines steuerpflichtigen Anteils in Höhe von 203.372 EUR unterliege mithin ein Betrag von 47.629,30 EUR (= 203.372 EUR abzgl. 155.742,70 EUR) einer Doppelbesteuerung. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 6. März 2002, 2 BvL 17/99 sei die Besteuerung insoweit rechtswidrig.
Der Beklagte lehnte die beantragte Aussetzung der Vollziehung ab. Er führte aus, nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG unterlägen auch solche Kapitalabfindungen der nachgelagerten Besteuerung, bei denen die erworbenen Anwartschaften auf Beiträgen beruhten, die vor dem 1. Januar 2005 erbracht worden seien. Anders als bei einer Kapitallebensversicherung liege im Streitfall lediglich eine Teil-Kapitalisierung vor, da nur die bis zum 31. Dezember 2004 aufgelaufenen Versorgungsanwartschaften abgegolten worden seien. Eine Restverrentung (aufgebaut durch die Beiträge nach dem 31. Dezember 2004) erfolge weiterhin und sei jährlich zu versteuern. Die von den Klägern geltend gemachte echte Rückwirkung bestehe nicht; es sei vielmehr der Fall einer unechten Rückwirkung gegeben. Der Gesetzgeber habe im Rahmen der gebotenen Güterabwägung entschieden, dass das allgemeine...