Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung von geleisteten Kindergeldzahlungen wegen Doppelzahlung
Leitsatz (redaktionell)
- Wird Kindergeld nach dem Tod des im öffentlichen Dienst stehenden Ehegatten über 10 Jahre sowohl im Rahmen der Witwenversorgungsbezüge als auch aufgrund eines vorher von der Witwe gestellten Antrags an die unzuständige städtische Familienkasse ausgezahlt, rechtfertigt dies für den noch nicht festsetzungsverjährten Zeitraum die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung durch die unzuständige Behörde nach § 174 Abs. 2 AO und die Rückforderung der erbrachten Kindergeldzahlungen.
- Die Ausgestaltung der Kindergeldfestsetzung als Dauerverwaltungsakt führt nicht dazu, dass sich die Erklärungspflichten des Antragstellers auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Antragstellung beschränken; insbesondere sind Änderungen der Verhältnisse nach § 68 EStG mitzuteilen.
- Die zumindest bedingt vorsätzlich unterlassene Mitteilung der Doppelzahlung gegenüber der unzuständigen Familienkasse erfüllt den Tatbestand der Steuerhinterziehung, so das sich die Festsetzungsfrist auf 10 Jahre verlängert.
- Die Beurteilung der Unrichtigkeit des Antrages i.S.d. § 174 Abs. 2 Satz 2 AO bestimmt sich nach rein objektiven Kriterien.
- Eine Verletzung der Ermittlungspflicht der unzuständigen Behörde kann der Änderungsbefugnis nach § 174 Abs. 2 AO nur entgegenstehen, wenn ihr im Verhältnis zu den unzutreffenden Angaben der Antragstellerin ein erhebliches Gewicht beizumessen ist.
Normenkette
EStG § 67 S. 1, § 68 Abs. 1 S. 1, § 72 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AO § 37 Abs. 2, § 169 Abs. 2 S. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 174 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 370
Streitjahr(e)
1996
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 21.04.2010; Aktenzeichen III B 122/09) |
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht die Kindergeldfestsetzung für die beiden Kinder „S”, geb. am „...” 1992, und „Q”, geb. am „...” 1994, der Klägerin mit Wirkung ab Januar 1998 aufgehoben und die geleisteten Kindergeldzahlungen zurückgefordert hat.
Der Ehemann der Klägerin bezog als Angehöriger des öffentlichen Dienstes bis zu seinem Tod am 26. September 1996 vom „M-Behörde” Kindergeld für die beiden o.g. Kinder. Nach seinem Tod beantragte die Klägerin mit Antrag vom 10. Oktober 1996 bei der Beklagten, der Familienkasse „L-Stadt”, Kindergeld für die beiden Kinder. Im Rahmen des Antrags gab sie an, verwitwet zu sein. Außerdem erklärte sie auf entsprechende Fragen im Antragsvordruck, dass ihr Ehemann, „N”, in den letzten sieben Monaten vor Antragstellung im öffentlichen Dienst tätig gewesen sei und Kindergeld für die beiden Kinder „S” und „Q” vom „M-Behörde” bezogen habe. Außerdem gab sie an, dass sie im Mutterschutz sei und von ihrem Arbeitgeber kein Kindergeld erhalte.
Die Beklagte richtete daraufhin am 29. Oktober 1996 eine Vergleichsmitteilung zum Kindergeld an das „M-Behörde”, in der auf den Kindergeldantrag der Klägerin sowie darauf hingewiesen wurde, dass beabsichtigt sei, der Klägerin für die genannten Kinder Kindergeld „ab Monat Einstellung Ihrerseits” Kindergeld zu zahlen. Außerdem bat sie um Mitteilung, ob vom „M-Behörde” Kindergeld gezahlt werde bzw. worden sei, sowie um vorsorgliche Einstellung der Kindergeldzahlungen. Das „M-Behörde” teilte der Beklagten mit Schreiben vom 07. November 1996 mit, dass der Ehemann der Klägerin bis einschließlich September 1996 Kindergeld für die beiden Kinder bezogen habe.
Daraufhin zahlte die Beklagte ab Oktober 1996 fortlaufend Kindergeld für die beiden Kinder. Im Rahmen der von der Klägerin bezogenen Versorgungsbezüge (Witwengeld) zahlte auch das „M-Behörde”, erstmals im Dezember 1996 rückwirkend zum Oktober 1996, Kindergeld an die Klägerin. Auf den Inhalt der Bezügemitteilung von Dezember 1996 (Bl. 6 d.A.) wird Bezug genommen.
Im Rahmen einer Prüfung durch „...” erlangte die Beklagte im Jahre 2008 Kenntnis von der doppelten Kindergeldzahlung an die Klägerin. Mit Bescheid vom 01. Dezember 2008 hob sie daraufhin die Kindergeldfestsetzung für die Kinder „S” und „Q” ab Januar 1998 auf und forderte das für den Zeitraum Januar 1998 bis August 2008 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 37.033,71 EUR zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe als Empfängerin von Versorgungsbezügen gleichzeitig Kindergeld von ihr und von der Familienkasse des „M-Behörde” erhalten, ohne dies mitzuteilen. Die bei ihr – der Beklagten – erfolgte Kindergeldfestsetzung sei daher zu Unrecht erfolgt. Da das Verhalten der Klägerin ferner die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung nach § 370 der Abgabenordnung – AO – erfülle, sei im Streitfall von einer zehnjährigen Festsetzungsfrist auszugehen, so dass die Festsetzung des Kindergeldes ab dem 01. Januar 1998 aufzuheben gewesen sei.
Mit der nach erfolglos durchgeführtem Einspruchsverfahren fristgerecht erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst vorgetragen, dass es ihr Ehemann nach seiner Verbeamtung im Oktober 1995 unterlassen habe, sie davon zu unterrichten, dass er vom „M-Behörde” Kinderge...