Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch für EU-Auslandskinder bei Wohnsitz im Inland: Konkurrenzsituation i.S.d. Art. 68 VO 883/2004 – Ausschluss des Anspruchs auf Familienleistungen in Polen wegen der Höhe des Familieneinkommens

 

Leitsatz (redaktionell)

Der nach deutschem Recht bestehende Anspruch auf Kindergeld eines im Inland wohnhaften polnischen Staatsangehörigen für seine in Polen im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter lebenden Kinder wird nicht nach den Konkurrenzregeln der VO 883/2004 verdrängt, wenn wegen der Höhe des Familieneinkommens nach den polnischen Rechtsvorschriften kein Anspruch der Kindsmutter auf Familienleistungen in Polen für die gemeinsamen Kinder besteht.

 

Normenkette

VO Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 3 Buchst. e, Art. 68 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii, Abs. 2 S. 3; EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 2 S. 2

 

Streitjahr(e)

2011, 2012, 2013

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.02.2021; Aktenzeichen III R 60/19)

 

Tatbestand

Streitig ist das Kindergeld für die Kinder des Klägers (Benjamin, geb. am 03.06.1999 und Marcel, geb. am 09.01.2003) für den Zeitraum Juni 2011 bis einschließlich März 2013 (Streitzeitraum).

Der Kläger wohnt seit 1996 in Deutschland. Er hat bis zu seiner Erkrankung in Deutschland gearbeitet. Im Streitzeitraum bezog er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seine Kinder lebten im Streitzeitraum bei der nicht erwerbstätigen Ehefrau,…(Kindsmutter), in Polen. Die Kindsmutter hat erklärt, dass der Kläger das Kindergeld erhalten soll.

Mit Bescheid vom 07.01.2013 lehnte die Beklagte den Kindergeldantrag des Klägers ab. Die Kindsmutter übe in Polen eine Erwerbstätigkeit bzw. einen gleichgestellten Tatbestand aus und sei daher vorrangig anspruchsberechtigt.

Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 07.03.2013 als unbegründet zurück. Die Ansprüche des Klägers und der Kindsmutter würden ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst (sog. Wohnsitz-Wohnsitz-Konstellation). Wegen des Wohnortes der Kinder in Polen sei Polen vorrangig anspruchsverpflichtet. Deutschland schulde keine Unterschiedsbeträge.

Der Kläger verfolgt sein Begehren weiter mit der Klage: Im Streitzeitraum habe er einen gemeinsamen Haushalt mit der Kindsmutter in Polen unterhalten. Dort habe kein Anspruch auf Kindergeld bestanden, da das Familieneinkommen die maßgebliche Einkommensgrenze überschritten habe. Zur Darlegung des Familieneinkommens in den Jahren 2009 und 2010 hat der Kläger die entsprechenden Bescheide über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorgelegt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 34, 37, 40, 148-150 der Gerichtsakte -GA-). Mangels Anspruchs auf polnische Familienleistungen seien die Prioritätsregeln des Art. 68 der Verordnung (EG) Nummer 883/2004 nicht anwendbar.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 07.01.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.03.2013 zu verpflichtet, ihm Kindergeld für seine Söhne Benjamin und Marcel für den Zeitraum Juni 2011 bis März 2013 in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Berücksichtigung der nachgereichten Unterlagen sei davon auszugehen, dass der Kläger und die Kindsmutter in Polen einen gemeinsamen Haushalt unterhielten. Gleichwohl sei ein Anspruch auf Kindergeld zu verneinen, weil gemäß Art. 68 Abs. 1 Buchstabe b Ziffer iii VO Nr. 883/2004 Polen vorrangig zur Gewährung der Familienleistungen zuständig sei. Die Gewährung von Differenzkindergeld sei nach Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO Nr. 883/2004 ebenfalls ausgeschlossen, da die Leistungsansprüche ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst würden. Für die Monate Juni 2011 bis Oktober 2012 sei die Einkommensgrenze für polnische Familienleistungen i.H.v. jährlich 24.192 PLN (4x 504 PLN x 12 Monate) nicht überschritten. Ausweislich des Schreibens der Deutschen Rentenversicherung…vom 21.02.2017 (Bl. 175 GA) habe der Kläger im Jahr 2009 2.256 € und im Jahr 2010 2.460 € Arbeitslosengeld II erhalten. Zudem seien dem Kläger im Jahr 2009 insgesamt 1.480 € und im Jahr 2010 1.680 € Kindergeld gezahlt worden. Mithin betrage das nachgewiesene Familieneinkommen im Jahr 2009 3.736 € und im Jahr 2010 4.140 €. Bei einem Umrechnungsfaktor von ca. 4 werde die Einkommensgrenze nicht überschritten. Für die Monate ab November 2012 stehe hingegen fest, dass materiell-rechtlich kein Anspruch auf polnische Familienleistungen bestanden habe, weil die polnische Verbindungsstelle mitgeteilt habe, dass das Familieneinkommen zu hoch gewesen sei. Gleichwohl komme auch für diese Monate die Festsetzung von Kindergeld nicht in Betracht. Es sei bei einer Wohnsitz-Wohnsitz-Konstellation unerheblich, ob und ggf. in welcher Höhe im Einzelfall tatsächlich ein Anspruch auf ausländische Familienleistungen bestehe. Es komme vielmehr darauf an, ob prinzipiell eine Familienleistung vorgesehen sei.

Das Gericht hat die Kin...

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