vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anlaufhemmung bei Nichtabgabe der Steuererklärung - Unbeachtlichkeit einer NV-Bescheinigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Erteilung einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung (NV-Bescheinigung) gemäß § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG zum Zweck der Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug durch den Schuldner der Kapitalerträge lässt die gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht entfallen und hat daher keine Auswirkung auf die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist wegen Nichtabgabe der Steuererklärung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.

 

Normenkette

AO § 118 S. 1, § 149 Abs. 1 S. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; EStG § 25 Abs. 3, § 44a Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 46 Abs. 2, § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a; EStDV § 56 S. 1 Nr. 1 Buchst. a

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 15.05.2013; Aktenzeichen VI R 33/12)

 

Tatbestand

Strittig ist, ob der Beklagte gegenüber den Klägern für das Streitjahr (2002) Einkommensteuer festsetzen durfte.

Der Beklagte erteilte den Klägern am 22. Mai 2002 eine Nichtveranlagungs-Bescheinigung (NV-Bescheinigung) gemäß § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Jahre 2001 bis 2003. Nach einer am 10. Februar 2009 beim Beklagten eingegangenen Kontrollmitteilung des Finanzamts (FA) wurden dem Kläger im Streitjahr bis zum 3. Mai 2002 von der R-GmbH insgesamt 232.872,62 Euro aus einer aufgrund einer Pensionszusage abgeschlossenen Rückdeckungsversicherung ausgezahlt. Der Kontrollmitteilung beigefügt war ein Datev-Kontenblatt der R-GmbH vom 14. August 2008 für das Konto 950 („Pensions- und ähnliche Rückstellungen”), das folgende Erläuterungen enthält: „Währung: DM Fibu 17/2001…Sortierung: Belegdatum - Diff. durch Währungsumrechnung möglich”.

Der Beklagte forderte die Kläger daraufhin mit Schreiben vom 12. Oktober und 16. November 2009 zur Abgabe einer Steuererklärung für das Streitjahr auf. Da die Kläger dieser Aufforderung nicht nachkamen, setzte er die Einkommensteuer für 2002 durch Bescheid vom 23. Dezember 2009 unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen auf 98.198 Euro fest. Den in der Kontrollmitteilung mitgeteilten Betrag behandelte er als Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit, wobei er von einem Euro-Betrag und nicht von einem DM-Betrag ausging.

Die Kläger legten dagegen am 18. Januar 2010 Einspruch ein, mit dem sie geltend machten, dass der Beklagte die Einhaltung der Festsetzungsfrist bislang nicht in überprüfbarer Form dargelegt habe. Der Bescheid sei zudem wegen eines Verstoßes gegen § 364 der Abgabenordnung (AO) rechtswidrig. Der Beklagte hielt dem entgegen, dass die Festsetzungsfrist im Hinblick auf die Regelungen in § 169 Abs. 2 Satz 2 und § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht vor Ablauf des 31. Dezember 2009 geendet habe. Da die beabsichtigten Änderungen zuvor mitgeteilt worden seien, liege auch kein Verstoß gegen § 364 AO vor. Die Kläger hielten dagegen mit Schreiben vom 4. Februar 2010 an ihrer Ansicht fest und machten zusätzlich geltend, dass dem Kläger ein Betrag in Höhe des im angefochtenen Bescheid angesetzten Betrags nicht zugeflossen sei. Der Beklagte habe überdies den Arbeitgeber des Klägers vorrangig für eine aus dem Zufluss von Arbeitslohn resultierende Steuerschuld als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen müssen. Die unterlassene Ermessensausübung bei der Heranziehung des Klägers mache die Steuerfestsetzung rechtswidrig.

Der Beklagte folgte dem nicht, sondern wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 2. März 2010, auf die Bezug genommen wird, als unbegründet zurück.

Mit der Klage halten die Kläger an ihrem Begehren fest, den Einkommensteuerbescheid vom 23. Dezember 2009 aufzuheben. Der Bescheid sei nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen. Zu einer Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO sei es nicht gekommen, weil der Beklagte durch die NV-Bescheinigung zum Ausdruck gebracht habe, dass eine Steuererklärung nicht abzugeben sei. Der Berufung auf die Anlaufhemmung stehe zudem Treu und Glauben bzw. der Verwirkungsgedanke entgegen. Die Festsetzungsfrist habe sich auch nicht gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängert, weil der Kläger nicht vorsätzlich gehandelt habe. Er sei davon ausgegangen, dass sein ehemaliger Arbeitgeber der Verpflichtung, Lohnsteuer auf den ausgezahlten Betrag einzubehalten, nachgekommen sei. Dessen Haftung sei im Übrigen gegenüber der Steuerfestsetzung vorrangig. Die Besteuerungsgrundlagen lauteten im Datev-Kontenblatt außerdem auf DM- und nicht auf Euro-Beträge.

Nach Abgabe einer Steuererklärung für das Streitjahr hat der Beklagte die Kläger durch Änderungsbescheid vom 18. Januar 2012 erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt. Dabei hat er bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit den Bruttoarbeitslohn auf 124.953 Euro herabgesetzt. Darin enthalten ist ein Betrag in Höhe von (abgerundet) 119.065 Euro, bei dem es sich nach Anlagen zum Schriftsatz der Kläger vom 4. Februar 2011 um...

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