vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines unbeschränkt steuerpflichtigen polnischen Saisonarbeiters mit Familienwohnsitz in Polen auf deutsches Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
- Der Anspruch eines unbeschränkt steuerpflichtigen polnischen Saisonarbeiters mit Familienwohnsitz in Polen auf deutsches Kindergeld während einer mehrmonatigen nichtselbständigen Tätigkeit im Inland wird durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen, wenn er als selbständiger Landwirt in der polnischen Sozialversicherung für Landwirte sozialversichert ist, keine Beiträge in die deutsche Sozialversicherung entrichtet und deshalb für das Arbeitsverhältnis vorrangig und ausschließlich polnisches Sozialversicherungsrecht gilt.
- Deutsches Kindergeldrecht ist mangels eines Anwendungsbefehls zugunsten des nationalen Rechts in §§ 62 ff. EStG nicht anwendbar, wenn nach der VO (EWG) 1408/71 das Recht eines anderen Mitgliedstaats anwendbar ist.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 3, § 62 Abs. 1 Nr. 2; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 4 Abs. 1 Buchst. h, Art. 13 Abs. 1 S. 1, Art. 14 a Nr. 1 Buchst. a
Streitjahr(e)
2007
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 09.10.2013; Aktenzeichen XI R 58/10) |
Tatbestand
Der Kläger, ein polnischer Staatsbürger, von Beruf Landwirt, arbeitete vom 26.03. bis zum 11.07.2007 als Saisonarbeitnehmer bei der Gärtnerei „N” in „T-Stadt”. Für den Zeitraum März bis Juli 2007 beantragte er bei der Beklagten der Familienkasse Kindergeld für seine in Polen lebenden Kinder „X” (geboren 1987), „S” (geboren 1988) und „P” (geboren 1992). Er erklärte, dass seine Ehefrau für die Kinder laufendes polnisches Kindergeld erhalten habe. Er legte eine Bescheinigung des Arbeitgebers vor, wonach ein Sozialversicherungsverhältnis zur deutschen Versicherungsanstalt nicht bestanden habe, sondern für das Arbeitsverhältnis polnisches Sozialversicherungsrecht gelte (Vorlage des Formulars E 101). Für die volljährigen Kinder waren Formulare E 402 (Bescheinigung über die Fortsetzung der Schul- oder Hochschulausbildung für die Gewährung von Familienleistungen) beigefügt, außerdem jeweils Erklärungen zu den Einkünften und Bezügen für 2007. Schließlich legte der Kläger eine Lohnsteuerbescheinigung für 2007 vor, die u. a. einen Bruttoarbeitslohn von 7.373 EUR auswies. Die Familienkasse lehnte den Kindergeldantrag für März bis Juli 2007 ab, weil die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 EStG nicht erfüllt seien (Ablehnungsbescheid vom 18.04.2008).
Hiergegen erhob der Kläger Einspruch. Er trug vor, er sei für 2007 vom Finanzamt als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt worden; hieraus ergebe sich der Anspruch auf deutsches Kindergeld. Er fügte einen Einkommensteuerbescheid des Finanzamts „H-Stadt” für 2007 (vom 07.04.2008) bei, der auf einer Einzelveranlagung beruht, mit einer festgesetzten Einkommensteuer in Höhe von 0 EUR. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Die Familienkasse führte aus, der Kläger unterliege –wie die dem Arbeitgeber vorgelegte Bescheinigung E 101 ausweise durchgehend dem polnischen Sozialversicherungssystem, so dass für ihn gemäß Art. 13 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (konsolidierte Fassung, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 28 vom 30.01.1997, S. 1) im Folgenden: VO Nr. 1408/71 ausschließlich die polnischen Rechtsvorschriften anzuwenden seien; hierunter falle auch der Anspruch auf Kindergeld. Die VO Nr. 1408/71 sei in Deutschland unmittelbar geltendes Recht und gehe den nationalen Bestimmungen vor. Demgemäß seien im Streitfall auf den Kläger ausschließlich die polnischen Vorschriften anwendbar, und zwar unabhängig davon, ob und in welcher Höhe in Polen Kindergeld gewährt werde. Auch die Zahlung von Aufstockungsbeträgen zwischen einem niedrigeren ausländischen und dem höheren deutschen Kindergeld komme nicht in Betracht, weil deutsches Kindergeldrecht nicht anwendbar sei (Einspruchsentscheidung vom 03.07.2008).
Am 06.08.2008 hat der Kläger bei Gericht zunächst Prozesskostenhilfe beantragt für ein beabsichtigtes Klageverfahren auf Gewährung von Kindergeld für seine 3 Kinder und für einen Zeitraum von 5 Monaten (März bis Juli 2007). Nachdem der Senat antragsgemäß Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessvertreters gewährt hat, hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe für den streitigen Zeitraum deutsches Kindergeld in Höhe von 2.310 EUR zu. Dieser Anspruch ergebe sich aus Art. 73 der VO Nr. 1408/71; hiernach habe ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat (Deutschland) arbeitet, für seine Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat (Polen) wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes (Deutschland), als ob die Familienan...