vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung: Präklusionswirkung der Feststellung der Steuerforderungen zur Insolvenztabelle – Unterlassener Widerspruch des Insolvenzschuldners gegen die Forderungsanmeldung
Leitsatz (redaktionell)
- Das Recht des Geschäftsführers einer in Insolvenz geratenen GmbH, einen Widerspruch gegen die Anmeldung der Steuerforderungen zur Tabelle einzulegen, ist eine Anfechtungsmöglichkeit i.S.d. § 166 AO, bei deren Versäumnis er im Haftungsverfahren mit Einwendungen gegen die durch Feststellung zur Insolvenztabelle unanfechtbar festgesetzten Steuern der von ihm vertretenen GmbH ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 16.05.2017 VII R 25/16, BFHE 257, 515, BStBl II 2017, 934).
- Dies gilt auch, wenn der Geschäftsführer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Einspruch gegen die Steuerfestsetzungen erhoben hatte.
- Ein Haftungsschaden kann bereits dadurch eintreten, dass infolge der Pflichtverletzung des Haftungsschuldners in Bezug auf die Erfüllung der Steuererklärungspflichten der von ihm vertretenen GmbH eine entstandene Steuer überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt und somit auch keine Steuerentrichtungspflicht begründet wird.
Normenkette
AO § 34 Abs. 1, §§ 69, 166, 168 S. 1, § 191 Abs. 1 S. 1, § 220 Abs. 2 S. 2; InsO § 178 Abs. 1 S. 2, § 201 Abs. 2 S. 1; UStG § 18 Abs. 3 S. 1
Streitjahr(e)
2005, 2006, 2007
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Haftungsbescheid, mit dem er vom Beklagten für Steuerschulden der A GmbH (im Folgenden: GmbH) in Anspruch genommen worden ist.
Der Kläger … wurde 2001 zum Geschäftsführer der GmbH bestellt, deren alleiniger Gesellschafter er seit 2003 war. Gegenstand der GmbH war der Großhandel mit Textilstoffen. … Die GmbH betrieb ein Ladengeschäft in … und einen Internethandel für Textilien.
Die GmbH ermittelte ihren Gewinn durch Bestandsvergleich. Die Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuererklärungen wurden am 03.05.2007 (2005), 19.09.2007 (2006) und am 20.06.2008 (2007) beim Beklagten eingereicht. Die Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuerfestsetzungen 2005 bis 2007 erfolgten erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. In den Gewinn- und Verlustrechnungen wurden für die GmbH folgende Umsatzerlöse erklärt (alle Beträge in Euro):
Jahr |
2005 |
2006 |
2007 |
Umsatzsteuerfreie Ausfuhrlieferungen |
361.118,38 |
736.254,75 |
1.788.857,44 |
umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen |
387.364,50 |
421.617,55 |
342.920,44 |
Umsätze Regelsteuersatz |
322.880,00 |
513.646,48 |
628.209,08 |
Nicht steuerbare Umsätze |
- |
- |
55.136,90 |
Summe |
1.071.363,30 |
1.671.518,78 |
2.815.123,86 |
Aufgrund der Prüfungsanordnung vom 02.02.2011 führte der Beklagte bei der GmbH eine Betriebsprüfung u.a. für Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer 2005 bis 2007 durch. Die Ergebnisse wurden im Prüfungsbericht vom 03.01.2012 zusammengefasst, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Die Prüferinnen kamen u.a. zu dem Ergebnis, dass eine Schätzungsbefugnis des Beklagten bestehe, weil die Kassenführung formelle und materielle Mängel aufweise und daher nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entspreche.
Die GmbH habe in den Streitjahren ein Kassenbuch geführt. Umsätze seien in Form von Rechnungen mit Rechnungsnummern und Quittungsdurchschriften aufgezeichnet worden. Die Nummerierung der Quittungen sei handschriftlich erfolgt. Die Einnahmebelege der Quittungen seien in einer Summe im Kassenbuch aufgezeichnet worden.
Es bestünden mehrere, im Einzelnen näher ausgeführte Differenzen zwischen den End- und Anfangsbeständen der Kasse. Ursprungsaufzeichnungen über die Zusammensetzung der Tageseinnahmen seien nicht aufbewahrt worden.
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Die Zuordnung der Einnahmebelege sei bei einem Vorgang fehlerbehaftet gewesen. Außerdem sei eine Quittungsnummer doppelt vergeben worden.
Das Kassenbuch weise keine Bestände pro Tag auf. Weiterhin seien diverse Kassenfehlbeträge festgestellt worden. Das Kassenbuch sei nachträglich verändert worden. Zudem seien Einlagen in die Kasse getätigt worden, ohne dass hierzu Belege vorlägen.
Es komme hinzu, dass die ermittelten Rohgewinnaufschlagsätze in erheblichem Maße von den Durchschnittssätzen der Richtsatzsammlung für Textilwaren verschiedener Art und Oberbekleidungseinzelhandel abweichen würden.
Eine Hinzuschätzung von 10% der erklärten Umsatzerlöse der GmbH, also 107.136,33 Euro für 2005, 167.151,88 Euro für 2006 und 281.512,39 Euro für 2007 sei gerechtfertigt. Außerdem sei der Gewinn um ungeklärte Bareinlagen (451.000 Euro in 2005, 50.500 Euro in 2007) und ungeklärte Bankeinlagen (5.000 Euro in 2006) sowie Kassenfehlbeträge (40.443,81 Euro in 2007) zu erhöhen. Zudem sei ein Gesellschafterdarlehen abzuzinsen und eine Teilrückzahlung dieses Darlehens als verdeckte Gewinnausschüttung zu werten.
Die Hinzuschätzungsbeträge seien der Umsatzbesteuerung zum Regelsteuersatz zu unterwerfen.