vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorfinanzierung als selbständige Leistung im Rahmen des unechten Factorings
Leitsatz (redaktionell)
- Anwaltliche Mahngebühren, die eine privatärztliche Verrechnungsstelle im Rahmen der treuhänderischen Einziehung der Arzthonorare von den Patienten erhebt, unterliegen ungeachtet ihres Schadensersatzcharakters als zusätzliches Entgelt für die gegenüber den Ärzten erbrachte Einziehungsleistung der Umsatzsteuer, wenn die Auftraggeber insoweit auf ihren Herausgabeanspruch aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag verzichten (Anschluss an BFH-Urteil vom 11.5.1995 V R 86/93, BStBl II 1995, 613).
- Bei der im Rahmen des unechten Factorings optional angebotenen Vorfinanzierung von Arzthonoraren gegen die Erhebung einer gesonderten Gebühr handelt es sich um eine gegenüber dem Forderungseinzug selbständige steuerfreie Leistung der Kreditgewährung (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 15.5.2012 XI R 28/10, BStBl II 2015, 966, und zum Urteil des FG München vom 31.8.2016 3 K 874/14, EFG 2016, 2089).
Normenkette
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 4 Nr. 8a, § 10 Abs. 1 Sätze 2-3; BGB § 675 Abs. 1, § 667
Streitjahr(e)
2012, 2013, 2014, 2015
Tatbestand
Die Klägerin ist eine GmbH. Sie ist Organträgerin mehrerer Tochtergesellschaften. Diese übernehmen für Ärzte und Krankenhäuser die Abwicklung von Privatliquidationen gegen Entgelt (nachfolgend wird gleichwohl aus Vereinfachungsgründen allein von einem Tätigwerden der Klägern ausgegangen). Die Kunden konnten verschiedene Tarifpakete wählen. Der angebotene Basistarif umfasste eine erste und zweite Mahnung durch die Klägerin an die Patienten sowie eine dritte Mahnung durch einen von der Klägerin beauftragen Anwalt. Als optionaler Zusatzbaustein war gegen Aufpreis die Möglichkeit vorgesehen, ein gerichtliches Mahnverfahren ohne Kostenrisiko durchführen zu lassen. Alternativ konnte der Kunde u.a. auch das Basistarifpaket mit einer sog. Sofortauszahlung wählen. Die in den Streitjahren von der Klägerin verwendeten Musterverträge sahen (auszugsweise) folgende Regelungen vor:
I. Vertragsgegenstand
(...) Die VERRECHNUNGSSTELLE führt für den Kunden entgeltlich die Privatliquidation durch. Die weiteren Einzelheiten (...) ergeben sich aus diesem Vertrag und den ..., die Bestandteil dieses Vertrages sind.
II. Abtretung
Der Kunde bietet der VERRECHNUNGSSTELLE die Abtretung seiner Honorarforderungen aus seinen Leistungen, die nicht über die Kassenärztliche Vereinigung abgerechnet werden müssen, zum Zwecke der Einziehung an. Dies gilt für die bestehenden und die zukünftig entstehenden Forderungen. (...).
Die Forderungsabtretung berechtigt die VERRECHNUNGSSTELLE, die Forderungen im eigenen Namen geltend zu machen. Der Kunde behält im Innenverhältnis das Weisungsrecht gegenüber der VERRECHNUNGSSTELLE über die Forderung. Er bestimmt die Grundsätze für das Auftreten der VERRECHNUNGSSTELLE gegenüber Patienten und Kostenträgern und entscheidet insbesondere über die Berechnung der Honorarforderung, über spätere Veränderungen der Honorarsumme - Erhöhung, Ermäßigung, Streichung -, über die Art und Weise des Mahnverfahrens sowie über die Einleitung des gerichtlichen Einzugsverfahrens. Die VERRECHNUNGSSTELLE verpflichtet sich grundsätzlich, alle schriftlichen Weisungen des Kunden zu beachten, ist jedoch berechtigt davon abzuweichen, wenn sie den Umständen nach annehmen darf, dass der Kunde bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen würde. Darüber hinaus darf die VERRECHNUNGSSTELLE Weisungen des Kunden aus wichtigem Grund ablehnen. (...).
Der Kunde hat einen schuldrechtlichen Anspruch auf jederzeitige Auszahlung der eingegangenen Patientenzahlungen, verkürzt um die Gegenforderungen der VERRECHNUNGSSTELLE aus sämtlichen laufenden Geschäftsverbindungen (...).
Die Herausgabepflicht der VERRECHNUNGSSTELLE im Sinne des § 667 BGB beschränkt sich auf die Auszahlung des bei der VERRECHNUNGSSTELLE eingegangenen Honorars an den Kunden. Weitergehende Herausgabeansprüche des Kunden im Sinne des § 667 BGB oder die Verzinsungspflicht im Sinne des § 668 BGB sind ausgeschlossen. Sobald der Kunde das ihm zustehende Honorar abzüglich des Entgeltanspruchs der VERRECHNUNGSSTELLE erhalten hat, bleibt es allein der VERRECHNUNGSSTELLE überlassen, noch offene Kosten (Mahnkosten, etc.) bei dem Patienten oder anderen Zahlungspflichtigen geltend zu machen.
In einem Beiblatt mit dem Titel “...” fanden sich u.a. folgende Hinweise:
Forderungsmanagement
Die VERRECHNUNGSSTELLE überwacht und verbucht alle Zahlungseingänge. Je nach Tarif und Auszahlungsmodell können dabei individuelle Zahlungsziele berücksichtigt werden. Standardmäßig ist ein Zahlungsziel von ...Tagen vorgesehen.
Mahnverfahren
Bei Nichteinhaltung des Zahlungsziels führt die VERRECHNUNGSSTELLE zunächst ein außergerichtliches Mahnverfahren durch. Nach Versendung einer ersten und zweiten Mahnung durch die VERRECHNUNGSSTELLE erfolgt die Versendung einer Anwaltsmahnung. Darüber hinaus kann auch die Verse...