vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch eines in Deutschland ansässigen Arbeitnehmers – Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der Kindesmutter in Frankreich – Bedeutung der Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009
Leitsatz (redaktionell)
- Ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer, dessen Kind bei der Kindesmutter in Frankreich lebt, hat Anspruch auf Gewährung deutschen Kindergelds in voller Höhe, wenn der Kindesmutter in Frankreich kein Anspruch auf Familienleistungen zusteht.
- Diesem Anspruch steht die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der Kindesmutter in Frankreich nicht entgegen, da diese selbst die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 62 Abs. 1 EStG nicht erfüllt und daher keine i. S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG anspruchsberechtigte Person sein kann.
- Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 bezweckt nicht, einen unstreitig bestehenden Kindergeldanspruch dem Anspruchsinhaber unter Hinweis auf die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt eines im EU-Ausland wohnenden Familienangehörigen zu versagen.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 3, § 64 Abs. 1, 2 S. 1; EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 1, 3 Buchst. a), Art. 68, 68a; EGV 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, erhielt seit Oktober 2008 Kindergeld für seine Tochter „A” (geboren 2002). Die Tochter lebt zusammen mit ihrer Mutter seit September 2008 in Frankreich; vorher wohnte die Mutter zusammen mit der Tochter in Deutschland und bezog deutsches Kindergeld. Laufende französische Familienleistungen bezieht die Mutter nicht, weil diese erst ab dem 2. Kind gewährt werden.
Mit Bescheid vom 4.05.2012 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger ab Juni 2012 auf. Sie führte zur Begründung aus, die Aufhebung beruhe auf § 70 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Kindergeld könne nur der Elternteil erhalten, der nach § 64 EStG vorrangig kindergeldberechtigt sei. Dies sei im Streitfall die in Frankreich lebende Mutter, zu deren Haushalt „A” gehöre.
Mit seinem Einspruch trug der Kläger vor, er sei in Deutschland steuerpflichtig und gewähre seiner Tochter laufenden Unterhalt. ein Konto der Mutter in Spanien überwiesen werde.
Die Familienkasse wies den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 10.10.2012). Zur Begründung führte sie aus, aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit - VO (EG) Nr. 883/2004 - (ABl. EU 2004 L 200, S. 1) und der hierzu ergangenen Durchführungs-Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vom 16. September 2009 – VO (EG) Nr. 987/2009 - (ABl. EU 2009 L 284, S. 1) sei Deutschland zwar gemäß Art. 68 Abs. 1 a VO (EG) Nr. 883/2004 als vorrangiges Land für die Gewährung der Familienleistungen zuständig, weil der Kindesvater in Deutschland beschäftigt sei. Jedoch könne in diesem Fall nur der Elternteil das Kindergeld erhalten, der nach § 64 EStG vorrangig kindergeldberechtigt sei. Dies sei im Streitfall gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG die Mutter, in deren Haushalt in Frankreich die Tochter „A” lebe.
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger trägt vor, die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 könne nur für Familienangehörige gelten, nicht jedoch für die mit dem Kläger nicht verheiratete Kindesmutter.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Aufhebungsbescheid vom 04.05.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.10.2012 mit der Maßgabe aufzuheben, dass Kindergeld für die Tochter „A” ab Juni 2012 in Höhe von monatlich 184 € festgesetzt wird.
Die beklagte Familienkasse ist im Verlauf des Klageverfahrens durch Organisationsakt Rechtsnachfolgerin der Familienkasse geworden. Die Beklagte hält weisungsgemäß an der bisherigen Rechtsauffassung fest und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vom Gericht beigezogene Kindergeldakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger für seine Tochter „A” ab Juni 2012 bis Oktober 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Das Gericht entscheidet über die Kindergeldgewährung für die Monate Juni 2012 bis Oktober 2012. Nach inzwischen höchstrichterlicher Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 22.03.2011 III R 70/09, BFH/NV 2012, 1446 und vom 5.07.2012 V R 58/10, BFH/NV 2012, 1953) ist zulässiger Klagegegenstand ausschließlich der Zeitraum bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Nur in diesem zeitlichen Umfang kann der Kindergeldanspruch im finanzgerichtlichen Verfahren zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle gemacht werden.
2. Der Kläger besitzt für den S...