Entscheidungsstichwort (Thema)
AfA für erworbenen Praxiswert – Ausnahmefall des alleinigen Erwerbs einer kassenärztlichen Zulassung – Gewinnneutrale Überführung in Mitunternehmerschaft gem. § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG
Leitsatz (redaktionell)
- Die Vertragsarztzulassung ist regelmäßig ein unselbstständiger Bestandteil des Praxiswertes, kann aber durch einen gesonderten Veräußerungsvorgang zu einem selbstständigen immateriellen Wirtschaftsgut konkretisiert werden (vgl. BFH Urteil vom 9.8.2011 VIII R 13/08, BStBl. II 2011, 875).
- Ein solcher – von der feststellungsbelasteten Finanzbehörde darzulegender - Ausnahmefall kommt nicht in Betracht, wenn sich die Zahlung des Erwerbers am Verkehrswert der Praxis orientiert und daneben auch andere wesentliche im Praxiswert enthaltene Einzelbestandteile (Patientenstamm, bestehende Arbeitsverhältnisse, Inventar) erworben und fortgeführt werden.
- Allein die Verlegung des Kassenarztsitzes in neue Praxisräume stellt den Erwerb des Praxiswertes nicht in Frage.
- Ein erworbener Praxiswert kann gem. § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG aus einem eigenen Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen in dessen Sonderbetriebsvermögen bei einer Mitunternehmerschaft überführt werden, ohne dass hierin ein § 24 Abs. 1 UmwStG unterfallender Tauschvorgang läge.
Normenkette
EStG § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 5 S. 2, § 7 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Abs. 4 S. 2; UmwStG § 24 Abs. 1
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin einen abschreibungsfähigen Praxiswert oder eine nicht abschreibungsfähige kassenärztliche Zulassung erworben hat.
Die Klägerin fasste im Frühjahr 2007 den Entschluss, ihre bisherige Anstellung als Fachärztin für Orthopädie in einem Krankenhaus in A aufzugeben. Der Kassenbezirk A war zu dieser Zeit gesperrt. Daher nahm sie Kontakt zu zwei zum Verkauf stehenden orthopädischen Facharztpraxen auf.
Eine dieser Praxen wurde seit 1988 von B in Räumlichkeiten …. in C geführt. Im Sommer arbeitete die Klägerin von Zeit zu Zeit in dessen Praxis, um die Patienten kennen zu lernen. Am 17. August 2007 schlossen die Klägerin und B einen Praxisübernahmevertrag ab. Die Patienten wurden von B und der Klägerin über den anstehenden Praxisverkauf mündlich informiert.
Die Klägerin sollte die Praxis laut Vertrag mit Wirkung zum 1. Januar 2008 übernehmen und im eigenen Namen auf eigene Rechnung fortführen. Zu diesem Zweck war auch die Übernahme des Praxisinventars vereinbart. Insbesondere sollte die Patientenkartei mit sämtlichen Krankenunterlagen in das Eigentum der Klägerin übergehen, wenn eine Einverständniserklärung des Patienten vorlag. Die Klägerin trat in verschiedene praxisbezogene Verträge des Veräußerers ein (z.B. Softwareüberlassungs- und Pflegevertrag, Praxisinventarversicherung, Gesellschaftsvertrag der Knochendichtemessung Gbr. etc.). Die bestehenden Verträge zu dem Physiotherapeuten und zur Miete der Praxisräume sollte B zum Jahresende 2007 kündigen. Auch fünf bestehende Arbeitsverhältnisse sollten auf die Klägerin übergehen.
Der Kaufpreis betrug 270.000 €. Nach einem Bewertungsgutachten sollte dieser sich aus 70.000 € für das Inventar und 200.000 € für den ideellen Praxiswert zusammensetzen. In dem Gutachten wurde der ideelle Praxiswert mit Hilfe von vier verschiedenen Bewertungsverfahren auf 190.000 € - 210.000 € geschätzt (Ertragswertverfahren, gemischtes Umsatz- und Gewinnverfahren, sowie Bewertung nach Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung D; vgl. Blatt 143f. der Gerichtsakte - GA -). Der gesamte Kaufvertrag wurde vereinbarungsgemäß wirksam, nachdem die Klägerin die kassenärztliche Zulassung von B übernehmen konnte.
Das von der Klägerin erworbene Praxisinventar war teilweise erneuerungsbedürftig. So hätte die Röntgenanlage für ca. 35.000 € erneuert werden müssen (vgl. das Angebot der Fa. E vom 12. Dezember 2007, Bl. 24 GA). Überdies entsprachen die Praxisräume in C aufgrund des dort verlegten Teppichbodens nicht mehr den neueren Hygienebestimmungen zur Vornahme operativer Eingriffe. Dies hätte einen weiteren Renovierungsbedarf in Höhe von ca. 25.000 € erfordert.
Im Spätsommer 2007 kam es zu Gesprächen zwischen der Klägerin und den beiden anderen Gesellschaftern der Beigeladenen. Deren chirurgische Gemeinschaftspraxis verfügte über eine ordnungsgemäße Röntgenanlage und erfüllte auch alle entsprechenden Hygieneanforderungen.
Am 29. Oktober 2007 kam es zu einem ersten Vertragsentwurf über den Zusammenschluss der Arztpraxen zur Gründung der Beigeladenen. Danach sollte die Klägerin mit dem ehemaligen Vermieter von B einen neuen aber befristeten Mietvertrag abschließen. Zu einer ersten Unterzeichnung eines Partnerschaftsgesellschaftsvertrages kam es am 21. November 2007. Sitz der Berufsausübungsgemeinschaft sollte die F in A sein. Allerdings sollte die Partnerschaft als überörtliche Gemeinschaftspraxis auch in C betrieben werden.
Am 4. Dezember 2007 stellte die Klägerin jedoch beim Zulassungsausschuss den Antrag, ihren Praxissitz in die Räumlichkeiten F...