vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Differenzkindergeldanspruch eines in Deutschland ansässigen und selbständig erwerbstätigen polnischen Staatsbürgers

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Der Differenzkindergeldanspruch eines in Deutschland ansässigen und selbständig erwerbstätigen polnischen Staatsbürgers, dessen Kinder bei der geschiedenen Ehefrau und Kindesmutter in Polen leben, wird nicht durch die Auszahlung polnischer Familienleistungen an die Kindesmutter ausgeschlossen.
  2. Das gilt auch, wenn die Kindesmutter aufgrund einer früheren Erwerbstätigkeit (Sozialversicherungs-) Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezieht, weil der deutsche Leistungsanspruch nicht gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO (EG) Nr. 883/2004 ausschließlich durch den Wohnsitz, sondern durch die selbständige Beschäftigung im Inland „ausgelöst” ist.
  3. Diesem Anspruch steht die Zugehörigkeit der Kinder zum Haushalt der Kindesmutter in Polen nicht entgegen, da diese selbst die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 62 Abs. 1 EStG nicht erfüllt und daher keine i. S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG anspruchsberechtigte Person sein kann.
  4. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 988/2009 bezweckt nicht, einen unstreitig bestehenden Kindergeldanspruch dem Anspruchsinhaber unter Hinweis auf die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt eines im EU-Ausland wohnenden Familienangehörigen zu versagen.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 3, § 64 Abs. 1, 2 S. 1; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 1; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 3 Buchst. a; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 68 Abs. 1-2, Art. 68a; VO (EG) Nr. 988/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger, wohnt seit Juli 2006 in „A"; zum 21. August 2006 hat er dort ein Gewerbe (Fliesen- Platten- und Mosaiklegerbetrieb) angemeldet. Die frühere Ehefrau des Klägers, von der er seit April 2009 geschieden ist, lebt mit den zwei gemeinsamen Kindern „B (geboren 2002) und „C” (geboren 2005) in „D"/ Polen. Im Januar 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten der Familienkasse - die Gewährung von Kindergeld für seine beiden Kinder. Die für Familienleistungen der Mutter zuständige polnische Behörde legte dar (durch Übersendung des Formulars E 411), dass die Mutter der Kinder nicht berufstätig ist und laufende polnische Familienleistungen erhält. Nachdem die Familienkasse den Kindergeldantrag zunächst wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt hatte, gewährte sie dem Kläger auf dessen Einspruch hin seit Juli 2006 deutsches Kindergeld für seine beiden Kinder in Höhe der hälftigen Sätze des § 66 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), und zwar in analoger Anwendung der Art. 12 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 DVO (EWG) Nr. 574/72 (Bescheid vom 20.04.2010).

Nach erneuter Prüfung hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger ab Juni 2010 vollumfänglich auf (Bescheid vom 01.06.2010). Zur Begründung gab sie an, die geschiedene Ehefrau habe den vorrangigen Anspruch auf das Kindergeld, weil die Kinder in ihrem Haushalt lebten.

Hiergegen erhob der Kläger, fachkundig vertreten, Einspruch. Die Familienkasse wies den Einspruch umgehend als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 04.08.2010). Sie führte aus, aufgrund der neuen Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit VO (EG) Nr. 883/2004 (ABl. EU 2004 L 200, S. 1) und der hierzu ergangenen Durchführungs-Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vom 16. September 2009 -DVO (EG) Nr. 987/2009 (ABl. EU 2009 L 284, S. 1) sei zwar Deutschland vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig (gemäß Art. 68 Abs. 1 Buchst. a) VO (EG) Nr. 883/2004). Jedoch stehe der Anspruch auf deutsches Kindergeld nicht dem Kläger, sondern seiner geschiedenen Ehefrau zu, weil die Kinder in ihrem Haushalt in Polen lebten.

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger die Weitergewährung des Kindergelds geltend macht. Inzwischen hat die für Familienleistungen der Mutter zuständige polnische Behörde mitgeteilt, dass die Mutter der Kinder weiterhin nicht berufstätig („arbeitslos”) sei und bis November 2010 laufende polnische Familienleistungen erhalten habe. Seit Dezember 2010 seien keine polnischen Familienleistungen erbracht worden, weil vorrangig deutsches Kindergeld zu gewähren sei. Der Kläger ist angesichts dessen der Ansicht, ihm stehe deutsches Differenzkindergeld gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004 zu; das polnische Kindergeld belaufe sich regelmäßig auf monatlich 43 PLN pro Kind, darüber hinaus sei ihm für seine beiden Kinder deutsches Kindergeld zu gewähren. Auf Hinweis des Gerichts hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung seine Klage eingeschränkt.

Der Kläger beantragt,

den Aufhebungsbescheid vom 01.06.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.08.2010 mit der Maßgabe aufzuheben, dass es ab Juni 2010 bei der vorherigen Kindergeldfestsetzung bleib...

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