Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer für den Zeitraum der vorläufigen schwachen Insolvenzverwaltung als Masseverbindlichkeit
Leitsatz (redaktionell)
- Das Finanzamt kann die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht gezahlten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für den Zeitraum der vorläufigen schwachen Insolvenzverwaltung gemäß § 55 Abs. 4 InsO wie Masseverbindlichkeiten gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festsetzen, wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter sich mit der Fortführung der Umsatztätigkeit im Insolvenzeröffnungsverfahren ausdrücklich oder stillschweigend einverstanden erklärt hat.
- Eine gegenüber der Anmeldung des Insolvenzschuldners der Höhe nach geänderte Steuerfestsetzung als Masseverbindlichkeit im Laufe des Insolvenzverfahrens ist nur im Wege eines an den Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheides möglich.
Normenkette
InsO § 21 Abs. 2 Nr. 2, § 22 Abs. 1, §§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 80 Abs. 1; AO § 34 Abs. 3, § 168 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Aufhebung der an ihn als Insolvenzverwalter einer KG (KG) gerichteten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Oktober und November 2011.
Die KG wurde im Jahr 1999 gegründet. Gesellschaftszweck der KG war die Erbringung von Speditionsleistungen. Die KG wurde unter der Steuernummer () (sog. erste Steuernummer) beim Finanzamt geführt.
Am 06.10.2011 beantragte die KG wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung beschäftigte sie 11 Mitarbeiter.
Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 7.10.2011 () wurde der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse ordnete das Gericht an, dass Verfügungen der KG über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Den Drittschuldnern wurde verboten, an die KG zu zahlen. Der Kläger wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der KG einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegen zu nehmen (vgl. Blatt 87 der GA).
Ausweislich des Gutachtens des Klägers vom 28.12.2011, Seite 6, gelang es dem Kläger – insbesondere durch die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes – im Vorverfahren, den Geschäftsbetrieb der KG fortzuführen. Hierzu seien – so der Kläger - intensive Gespräche mit den Hauptauftraggebern erforderlich gewesen. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen hätten bei der KG zum Zeitpunkt der Antragstellung mit 40.066,29 EUR ermittelt werden können. Hiervon seien bis zum 28.12.2011 36.880,09 eingezogen worden (vgl. Seite 8 des Gutachtens vom 28.12.2011).
Die KG reichte unter der ersten Steuernummer für die Monate Oktober und November 2011 am 09.12.2011 Umsatzsteuervoranmeldungen beim Finanzamt ein. Ausgehend von Umsätzen in Höhe von 45.484 EUR (10/2011) bzw. 36.090 EUR (11/2011) und Vorsteuerbeträgen in Höhe von 1.422,73 EUR bzw. 3.403,86 EUR erklärte die KG eine Umsatzsteuerzahllast in Höhe von 7.219,36 EUR (10/2011) bzw. 3.453,30 EUR (11/2011) (vgl. Blatt 55 ff. bzw. Blatt 57 ff der GA). Zahlungen auf die Umsatzsteuer durch die KG erfolgten jedoch nicht.
Da die Hauptauftraggeber nicht bereit waren, über den Jahreswechsel (2011/2012) hinaus die KG bei der weiteren Auftragsvergabe zu berücksichtigen, stellte die KG den Geschäftsbetrieb zum 31.12.2011 ein und kündigte mit Zustimmung des Klägers sämtlichen Mitarbeitern zum 31.12.2011.
Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 1. 1.2012 wurde über das Vermögen der KG das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 31. 1.2012 in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter unter Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO auf, unter der Massesteuernummer () (sogenannte. zweite Steuernummer) für den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung Umsatzsteuervoranmeldungen einzureichen.
Unter der ersten Steuernummer schätze der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen für die Jahressteuerschuld 2011 der KG, weil für den vorinsolvenzlichen Unternehmensteil bisher keine Umsatzsteuerjahreserklärung eingereicht wurde. Ausweislich der Abrechnung vom 13. 3.2012 betrug die Jahresumsatzsteuer 2011 nach der Berechnung des Beklagten 176.473,07 EUR, wobei der Beklagte bei seiner Schätzung die vorangemeldeten Umsätze für die Monate Oktober bis Dezember 2011 nicht berücksichtigte (vgl. Berechnung Blatt 77 der GA).
Am 5. 3.2012 wurden von der KG für den Monat November unter der ersten Steuernummer eine geänderte Voranmeldung abgegeben. Die festzusetzende Steuer betrug nunmehr 3.247,38 EUR statt bisher 3.403,86 EUR (vgl. Blatt 59 ff der GA).
Mit Bescheiden vom 20. 3.2012 (10/2011) und vom 3. 4.2012 (11/2011) setzt das Finanzamt die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Oktober bzw. November 2011 unter der zweiten Steuernummer fest, und zwar in Höhe von 4.548,88 EUR (10/2011; angemeldet waren 7.219,36 EUR) und 3.247,38 EUR (11...