Entscheidungsstichwort (Thema)

Vervielfältigungstheorie – Gewerbliche Prägung einer Insolvenzverwalterpraxis, Einsetzung einer angestellten Rechtsanwältin als Gutachterin

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Tätigkeit einer aus Rechtsanwälten bestehende Insolvenzverwalter-GbR ist auch dann als freiberuflich zu qualifizieren, wenn eine bei ihr angestellte Rechtsanwältin zwar selbst in wenigen, unbedeutenderen Verfahren zur Gutachterin, Insolvenzverwalterin oder Treuhänderin bestellt wird, in diesen Verfahren aber intern nicht eigenständig handelt, sondern der leitenden und eigenverantwortlichen Überwachung durch die GbR-Gesellschafter unterliegt.

 

Normenkette

EStG § 15 Abs. 1 S. Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3, Nr. 3; GewStG § 2 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit oder gewerbliche Einkünfte erzielt hat.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und wurde in 2001 gegründet. Sie betreibt in A und weiteren Standorten eine Rechtsanwaltskanzlei und ist überwiegend im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht tätig. Neben den beiden Gesellschaftern waren im Streitjahr etwa 33 Mitarbeiter tätig, darunter 6 Rechtsanwälte. Daneben waren 14 Rechtsanwaltsfachangestellte, vier Buchhalterinnen, eine kaufmännische Angestellte, eine Diplom-Betriebswirtin und fünf weitere Hilfskräfte angestellt. Seit 2003 besteht ein Standort in C. Später kamen weitere vier Standorte dazu. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn durch Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG und erzielte im Streitjahr Umsätze von 3.257.798 €. Hiervon resultieren rd. 91 % aus der Insolvenztätigkeit. Unter den angestellten Anwälten befand sich B. B wurde seit 2001 vom Amtsgericht (AG) C zur Sachverständigen, Insolvenzverwalterin und Treuhänderin bestellt. Sie ist seit dem 01.02.2003 bei der Klägerin angestellt. Ihr Anstellungsvertrag lautet u.a. wie folgt: „Das Aufgabengebiet umfasst die selbständige Abwicklung von Insolvenzverfahren und alle damit im Zusammenhang stehenden weiteren Tätigkeiten am Bürostandort C, sofern diese nicht von anderen Mitarbeitern der Kanzlei übernommen werden. Sämtliche Vergütungen, die B ab dem 01.02.2003 vom AG C erhält, tritt sie hiermit an die Klägerin ab, die die Abtretungen annimmt.” B wurde im Streitjahr in 69 Verfahren zur Gutachterin und Insolvenzverwalterin oder Treuhänderin bestellt. Der aus diesen Verfahren an die Klägerin abgetretene Nettoumsatz betrug 76.669 € (brutto: 88.937 €). Dies entspricht einem Anteil von 2,76% am Gesamtumsatz der Kanzlei.

Am 12.04.2010 begann bei der Klägerin eine Betriebsprüfung (Bp) für die Jahre 2003-2008 durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung. Der Prüfer kam bei Anwendung der sog. Vervielfältigungstheorie zu dem Ergebnis, die Klägerin übe mit der Insolvenzverwaltertätigkeit eine gewerbliche Tätigkeit gemäß  § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG aus. Wegen der Feststellungen während der Bp im Einzelnen wird auf den Inhalt des Bp-Berichts vom 12.11.2010 verwiesen. Aufgrund der Prüfungsfeststellungen erließ das FA am 07.01.2011 erstmals einen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2003. Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2003 vom 19.08.2004 wurde gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. In dem Bescheid vom 14.04.2011 wurden die Einkünfte der Gesellschaft in gewerbliche umqualifiziert und der Gewerbesteuermessbetrag auf die Gesellschafter verteilt. Hiergegen legte die Klägerin Einsprüche ein. Im Hinblick auf die beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Revisionsverfahren VIII R 50/09 und VIII R 3/10 wurden die Einspruchsverfahren zum Ruhen gebracht. Nachdem über die Revisionen mit Urteilen vom 15.12.2010 (VIII R 50/09, BStBI II 2011, 506) und 26.1.2011 (VIII R 3/10, BStBI II 2011, 453) entschieden worden war, nahm das FA die Einspruchsverfahren wieder auf.

Das FA wies die Einsprüche am 12.12.2012 als unbegründet zurück und führte u.a. aus, Voraussetzung für die Einstufung der Einkünfte als solche i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG sei, dass die Gesellschafter leitend und eigenverantwortlich tätig gewesen seien. Soweit die B vom AG C als Gutachterin, Insolvenzverwalterin und Treuhänderin eingesetzt worden sei, sei nur sie dem Insolvenzgericht gegenüber verantwortlich gewesen. Insoweit hätten die beiden Gesellschafter nicht leitend und eigenverantwortlich tätig werden können. Da B ihre Vergütung aus der Insolvenzverwaltertätigkeit an die GbR abgetreten habe, habe die GbR Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit erzielt. Auf den weiteren Inhalt der Einspruchsentscheidungen wird verwiesen.

Hierauf hat die Klägerin unter den Aktenzeichen 9 K 97/13 G und 9 K 98/13 F Klagen erhoben.

Sie trägt vor, in 2003 sei von den beiden Gesellschaftern nur RA K zum Gutachter oder Insolvenzverwalter bestellt worden, erst später auch der Sozius D. In 2003 sei K in 262 Verfahren bestellt worden. 104 dieser Insolvenzverfahren seien nicht eröffnet worden. In 2003 seien z...

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