Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Überschreitung des Jahresgrenzbetrags – Einkünfte aus einer zeitweiligen Vollzeiterwerbstätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
- Mit der Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit endet ungeachtet der Fortdauer der Berufsausbildung des Kindes der dem Grunde nach vorliegende Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a) EStG, so dass die ab diesem Zeitpunkt erzielten Einkünfte nicht in die Berechnung des Jahresgrenzbetrags für den Kindergeldanspruch mit einzubeziehen sind.
- Mit der in der Verfügung des Bundeszentralamtes für Steuern – BZSt – vom 04.07.2008 St II 2 – S 2282 – 138/2008 (DStR 2008, 1736) vertretenen gegenteiligen Auffassung wird die Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 16.11.2006, III R 15/06, BStBl. II 2008, 56) nicht zutreffend umgesetzt.
- Diese Grundsätze finden auch dann Anwendung, wenn das Kindergeld abgezweigt worden ist.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a), Sätze 2, 7, § 67 S. 2
Streitjahr(e)
2008
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung zu Recht ab Januar 2008 aufgehoben und das für den Zeitraum von Januar bis August 2008 ausgezahlte Kindergeld zu Recht von der Klägerin zurückgefordert hat.
Die Mutter der am 16.02.1987 geborenen Klägerin erhielt von der Familienkasse B fortlaufend Kindergeld bis einschließlich April 2005.
Auf Antrag der Klägerin vom 15.07.2005 wurde das Kindergeld mit Bescheid der Familienkasse B vom 21.10.2005 ab dem 01.08.2005 an sie abgezweigt und ausgezahlt.
Vom 22.08.2005 bis zum 31.07.2009 absolvierte die Klägerin eine Ausbildung zur Erzieherin. Im Rahmen des theoretischen Teils der Ausbildung besuchte sie bis zum 31.07.2008 das Berufskolleg C (Fachschule für Sozialpädagogik). Den praktischen Teil der Ausbildung absolvierte sie durch Ableistung eines Berufspraktikums vom 01.08.2008 bis zum 31.07.2009 bei einer städtischen Kindertageseinrichtung. Während dieser Zeit war sie bei dem Träger der Kindertageseinrichtung als Praktikantin auf Vollzeitbasis beschäftigt.
Vom 01.01.2008 bis zum 31.07.2008 bezog die Klägerin BAföG in Höhe von 507,- EUR monatlich. Vom 01.08.2008 bis zum 31.12.2008 erzielte sie Einkünfte in Höhe von insgesamt 6.699,66 EUR brutto.
Den Beginn des Berufspraktikums ab dem 01.08.2008 und die Änderung ihrer Einkommensverhältnisse teilte die Klägerin der Beklagten, der Familienkasse D, mit Schreiben vom 02.09.2008 mit.
Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 15.09.2008 gegenüber der Mutter der Klägerin die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2008 auf. Zur Begründung führte sie aus, dass die Einkünfte und Bezüge der Tochter der Klägerin den Jahresgrenzbetrag von 7.680,- EUR überschritten. Mit weiterem Bescheid vom 15.09.2008 forderte die Beklagte das in der Zeit von Januar bis August 2008 gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.232,- EUR von der Klägerin zurück.
Den hiergegen am 22.09.2009 eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 14.11.2008 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO – zur Rückzahlung des Kindergeldes verpflichtet sei. Aufgrund der bestandskräftigen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis August 2008 sei das Kindergeld ohne rechtlichen Grund an die Klägerin ausgezahlt worden.
Hiergegen richtet sich die am 10.12.2008 von der Klägerin erhobene Klage.
Sie trägt vor, dass die Beklagte das Kindergeld für den Zeitraum Januar bis August 2008 zu Unrecht zurückgefordert habe. Zwar sei die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass der Jahresgrenzbetrag für das Jahr 2008 überschritten werde. Ihre Einkünfte ab August 2008 seien jedoch nicht mit in die Berechnung des Jahresgrenzbetrags einzubeziehen, da sie ab diesem Zeitpunkt einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgegangen sei. Einkünfte aus einer solchen Vollzeiterwerbstätigkeit seien nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH– außer Acht zu lassen. Der Anspruch auf Kindergeld bleibe daher für die Monate Januar bis August 2008 bestehen, da ihre Einkünfte und Bezüge in diesem Zeitraum den anteiligen Grenzbetrag nicht überschritten.
Sie beantragt sinngemäß,
die Bescheide vom 15.09.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.11.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Die Klägerin erfülle im gesamten Kalenderjahr 2008 die Voraussetzungen von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a) des Einkommensteuergesetzes – EStG –. Deshalb stehe die Vollzeiterwerbstätigkeit grundsätzlich einem Kindergeldanspruch nicht entgegen. Allerdings seien nach der Entscheidung des BFH vom 16.11.2006, III R 15/06, BStBl. II 2008, 56 die Einkünfte aus einer zeitweiligen Vollzeiterwerbstätigkeit stets in die Ermittlung des Jahresgrenzbetrages einzubeziehen, wenn – wie im Streitfall – auch in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit ein Berücksichtigungstatbestand im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG vorliege. Da die Einkünfte und Bezüge der Klägerin den Jahresgrenzbetrag überschritten,...