Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit der Verjährungsvorschriften zur Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die in Art. 14 Abs. 3 VO (EG) Nr. 659/99 geregelte Befugnis der Kommission zur Anordnung der Rückforderung von Beihilfen zur Folge hat, dass die Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung auch bei Rückforderung einer Steuervergütung keine Anwendung finden.
Normenkette
AO § 169 Abs. 2, § 172 Abs. 1 Nr. 1; MinöStG § 25 Abs. 3a; EGV 659/99 Art. 14 Abs. 3
Tatbestand
I.
Mit Bescheid vom 10.06.2008 setzte das Hauptzollamt A - Antragsgegner (Ag) - die Rückforderung von in den Jahren 2001 bis 2004 gewährten Steuerbegünstigungen nach § 25 Abs. 3 a Nr. 1.4, 3.4 und 4.4 Mineralölsteuergesetz (MinöStG) gegen die Antragstellerin (Ast) - fest. Hiergegen legte die Ast fristgerecht Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung.
Die Steuerbegünstigung war der Ast als Steuervergütung gewährt worden, weil sie als Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft Mineralöle zum Beheizen von Gewächshäusern oder geschlossenen Kulturräumen zur Pflanzenproduktion eingesetzt hatte. Nachdem die auf der Grundlage des Art. 88 Abs. 2 EGV getroffene Entscheidung der Kommission von 10.03.2008 - K (2008) 860 endg.- festgestellt hatte, dass ein Teil der steuerlichen Bemessungsgrundlagen in Form des gesetzlichen Vergütungssatzes des § 25 Abs. 3 a Nr. 1.4 MinöStG (später: § 58 Energiesteuergesetz (EnergieStG)) eine mit dem gemeinsamen Markt nicht vereinbare Beihilfe darstelle (sog. Negativentscheidung), setzt der Ag die angefochtene Erstattung fest und lehnte eine Aussetzung der Vollziehung ab. Mit Beschluss vom 29.07.2008 hat das Finanzgericht auf Antrag der Ast die Vollziehung des Rückforderungsbescheides ausgesetzt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe des Beschlusses verwiesen.
Mit dem Antrag vom 14.08.2008 beantragt der Ag nunmehr die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Einspruchsentscheidung vom 14.08.2008. Er ist der Auffassung, dass ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Rückforderungsbescheides jedenfalls nicht mehr bestehen, nachdem sich die Einspruchsentscheidung mit den aufgeworfenen Rechtsfragen auseinander gesetzt hat. Hierzu trägt er im Einzelnen vor:
Die für die Vergütungsjahre 2001 bis 2004 festgesetzten Vergütungsbescheide seien auf der Grundlage von § 172 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) i.V.m. mit Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 659/99 geändert worden; der rechtswidrige Teil der gewährten Beihilfe werde gem. § 37 Abs. 2 AO zurückgefordert. Die regelmäßige Festsetzungsfrist für Verbrauchsteuerbescheide von 1 Jahr (§ 169 Abs. 2 Nr. 1 AO) stehe der Änderung der Steuervergütungsbescheide nicht entgegen. Die auf der Grundlage des Art. 88 Abs. 2 EGV getroffene Entscheidung der Kommission von 10.03.2008 - K (2008) 860 endg.- stelle fest, dass ein Teil der steuerlichen Bemessungsgrundlagen in Form des gesetzlichen Vergütungssatzes des
§ 25 Abs. 3 a Nr. 1.4 MinöStG (später: § 58 Energiesteuergesetz (EnergieStG)) eine mit dem gemeinsamen Markt nicht vereinbare Beihilfe darstelle (sog. Negativentscheidung). Daher schreibe die Entscheidung der Kommission auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 659/99 die unverzügliche Rückforderung der ab dem Jahr 2001 gewährten rechtswidrigen Beihilfe vor. Eine derartige Entscheidung sei für alle staatlichen Organe des betroffenen Mitgliedstaates - einschließlich seiner Gerichte - verbindlich (EuGH, Urteil vom 21.05.1987, Rs. C-249/85). Für die Rückforderung sei das Verfahrensrecht des betreffenden Mitgliedstaates anzuwenden, sofern hier durch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung ermöglicht werde. Die im Deutschen Verbrauchsteuerrecht maßgebliche Festsetzungsfrist von 1 Jahr stehe dem entgegen. Daher sei die gesetzliche Vorschrift über die Festsetzungsfrist nicht anzuwenden. Die Befugnisse der Kommission zur Rückforderung von Beihilfen gelten nach Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/99 für eine Frist von 10 Jahren. Die Befugnisse würden "leer laufen", falls nationales Verfahrensrecht den Vorrang hätte. Daher überlagere die Verordnung hinsichtlich der Rückforderungsfrist die nationale Festsetzungsverjährung (EuGH, Urteil vom 20.03.1997 Rs. C-24/95, Rnr. 37). Die Abgabenordnung nehme diesen Vorrang des Europäischen Rechts in § 1 Abs. 1 Satz 2 AO auf, wonach die in der AO getroffenen nationalen Verfahrensregelungen nur "vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Gemeinschaften" anwendbar seien. Daher gelte die einjährige Festsetzungsfrist für Verbrauchsteuern in diesem Fall mit der Maßgabe, dass aufgrund der Entscheidung der Kommission eine Rückforderung für einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren rückwirkend möglich sei.
Vertrauensschutzgesichtspunkte stünden der Rückforderung nicht entgegen. Gemeinschaftsrechtlich sei davon auszugehen, dass ein beihilfebegünstigtes Unternehmen im Fall der Gewährung einer Beihilfe ...