Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Ermessensausübung bei der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen der Ausübung des Auswahlermessens ist jeder Pflichtverstoß gesondert zu gewichten und zu bewerten.
2. Eine bloße Vervielfältigung des Mindestsatzes pro Pflichtverletzung trägt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Rechnung.
Normenkette
AO § 146 Abs. 2b, § 200 Abs. 1
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes.
Die Antragstellerin ist ein Betrieb des ... Gewerbes und eingegliedert in den sogenannten A-Konzern, der mit mehreren rechtlich selbstständigen Betrieben ... Dienstleistungen anbietet.
Der Antragsgegner hat Anfang 2010 mit einer Außenprüfung der Unternehmen des A-Konzerns begonnen, so auch bei der Antragstellerin für die Jahre 2003 bis 2007. Die Prüferin forderte die Antragstellerin Mitte Februar 2010 mit mehreren Faxschreiben auf, diverse Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen. Die Antragstellerin antwortete darauf fristgemäß mit Schreiben vom 04. März 2010. Zu diesem Zeitpunkt war die Prüferin erkrankt und musste deshalb die Prüfung längerfristig unterbrechen.
Die Außenprüfung wurde Anfang März 2011 wieder aufgenommen. Die Prüferin war der Auffassung, dass die Antragstellerin ihr Auskunftsersuchen und die Bitte um Vorlagen von Unterlagen nicht vollständig erfüllt habe und forderte die Antragstellerin deshalb erneut mit Schreiben vom 9. März 2011 in aktualisierter Form auf, diverse Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen. Mit Schreiben vom 16. März 2011 verfügte die Prüferin, dass aufgrund des Wunsches nach vertraulicher Behandlung aller Unterlagen die Prüfung des A-Konzerns nur an Amtsstelle fortgeführt werde.
Im Rahmen einer Besprechung beim Antragsgegner am 6. April 2011 wurde der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin mündlich von den Vertreterinnen des Antragsgegners aufgefordert, die aus ihrer Sicht ausstehenden Auskünfte und Unterlagen bis zum 26. Juni 2011 vorzulegen. Nachdem dies nicht erfolgt war, forderte der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 06. Juli 2011 auf, zu insgesamt 11 Punkten Auskünfte zu erteilen und/oder Unterlagen vorzulegen. Hierfür wurde der Antragstellerin eine Frist bis zum 08. August 2011 gesetzt. Ihr wurde angekündigt, dass bei fruchtlosem Fristablauf unter Anwendung des § 146 Abs. 2b der Abgabenordnung (AO) ein Verzögerungsgeld in Höhe von jeweils 2.500 € für die Punkte 1, 2, 3, 4, 10 und 11, für die Punkte 5, 6 und 7 sowie für die Punkte 8 und 9, insgesamt also in Höhe von 7.500 €, festgesetzt werden würde.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin nahm mit Schreiben vom 26. Juli 2011, beim Antragsgegner eingegangen am 03. August 2011, dazu Stellung und fügte in einem Schuhkarton unsortierte Belege für mehrere Steuerpflichtige des Konzerns bei.
Nach Sichtung der Auskünfte und Belege kam die Prüferin zu dem Schluss, dass die Antragstellerin die angeforderten Auskünfte und Unterlagen nicht vollständig vorgelegt habe und setzte mit Bescheid vom 06. September 2011 unter Anwendung von § 146 Abs. 2b AO ein Verzögerungsgeld in Höhe von je 2.500 € für die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten nach § 200 AO zu den Punkten 3 und 10, zu den Punkten 5 und 7 und zum Punkt 9 der Aufforderung vom 06. Juli 2011 fest. Insgesamt wurde ein Verzögerungsgeld in Höhe von 7.500 € festgesetzt. Von der Festsetzung sei abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten entschuldbar erscheine oder ein Verschulden nur geringfügig sei. Derartige Gründe lägen nicht vor.
Die Antragstellerin legte dagegen am 09. September 2011 Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Über den Einspruch ist noch nicht entschieden worden.
Mit Bescheid vom 14. September 2011 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Es lägen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vor und die Vollziehung habe keine unbillige Härte zur Folge. Das Entschließungs- als auch das Auswahlermessen seien ordnungsgemäß ausgeübt worden. Bei der Ausübung des Auswahlermessens habe er, der Antragsgegner, sich am Mindestbetrag für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes von 2.500 € pro gebündeltem Punkt orientiert, deshalb sei insoweit keine Begründung erforderlich gewesen.
Die Antragstellerin hat am 30. September 2011 bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass der Antragsgegner sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Sie habe im Januar 2011 die Geschäftsräume gekündigt und den Büroumzug eingeleitet. Die Unterlagen, die immer noch zur Weiterführung der Außenprüfung bereit gelegen hätten, seien in Kisten verpackt und zwischengelagert worden. Überraschend habe sich dann die Prüferin Mitte März 2011 aus längerer Krankheit zurückgemeldet. Der Antragsgegner habe es unterlassen, über die Unterbrechung/Fortführung der Betriebsprüfung zu unterrichten und verlange...