Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung: Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen
Leitsatz (amtlich)
Die Erhebung (Einziehung) eines Körperschaftsteueranspruchs, dessen Entstehung allein auf die "zusammengeballte" Erstattung von in den Vorjahren zu Unrecht erhobener Umsatzsteuer zurückzuführen ist, kann sachlich unbillig sein.
Normenkette
AO § 227; FGO § 102
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist der Erlass von Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag für das Jahr 2005.
Die Klägerin betreibt mehrere Automatenspielhallen. Im Rahmen dieser Geschäftstätigkeit erwirtschaftete sie in den Jahren bis 2004 fast ausschließlich Verluste. Aus diesem Grund fiel auch keine Körperschaftsteuer an. Der auf den 31.12.2004 festgestellte Verlustvortrag betrug 6.902.714,00 € (s. Tabelle 1):
Entwicklung des Verlustvortrags und des zvE
|
GdE |
Verlustabzug |
zvE |
Verlustvortrag 31.12.1993 |
|
3.223.443 |
|
1994 |
-654.487 |
654.487 |
-654.487 |
1995 |
331.474 |
-331.474 |
0 |
1996 |
-171.544 |
171.544 |
-171.544 |
1997 |
-477.854 |
477.854 |
-477.854 |
1998 |
-1.181.576 |
1.181.576 |
-1.181.576 |
1999 |
-1.918.045 |
1.918.045 |
-1.918.045 |
2000 |
-2.446.263 |
2.446.263 |
-2.446.263 |
2001 |
-1.550.561 |
1.550.561 |
-1.550.561 |
Zwischensumme DM |
|
11.292.299 |
|
Euro |
|
5.773.661 |
|
2002 |
102.105 |
-102.105 |
0 |
2003 |
-652.194 |
652.194 |
-652.194 |
2004 |
-578.964 |
578.964 |
-578.964 |
Verlustvortrag 31.12.2004 |
|
6.902.714 |
|
2005 |
2.834.319 |
-2.100.591 |
733.728 |
Verlustvortrag 31.12.2005 |
|
4.802.122 |
|
Entgegen der damals gängigen (Verwaltungs-)Praxis vertrat die Klägerin die Auffassung, dass die von ihr durch den Betrieb der Geldspielautomaten erwirtschafteten Umsätze umsatzsteuerfrei seien. Gleichwohl wurde sie mit diesen Umsätzen von dem Beklagten zur Umsatzsteuer herangezogen. Die Klägerin erhöhte dementsprechend die Automaten-Spieleinsätze, die sie von ihren Kunden verlangte, und führte die als Umsatzsteuer eingeforderten Beträge an den Beklagten ab. Gegen die jeweiligen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1996 bis 2005 legte sie Rechtsmittel ein.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Bundesfinanzhofs (BFH) bestätigten mit Urteilen vom 17.02.2005 (C453/02 und C-462/02, ABl. EU 2005, Nr. C 93, 1 = EuZW 2005, 210) bzw. vom 12.05.2005 (V R 7/02, BStBl. II 2005, 617) die Rechtsauffassung der Klägerin. Aus diesem Grund erstattete der Beklagte im Jahr 2005 der Klägerin die in den Vorjahren zu Unrecht als Umsatzsteuer einbehaltenen Beträge in Höhe von insgesamt 2.911.167,00 €.
Für das Streitjahr 2005 führte der außerordentliche Ertrag der Umsatzsteuererstattungen (zzgl. Zinsen i.H.v. 480.803,00 €) bei der Klägerin zu einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte (GdE) in Höhe von 2.834.319,00 €. Unter Anwendung der Verlustabzugsregelung des § 10d Abs. 2 EStG in der damals gültigen Fassung (a.F.) nahm der Beklagte gemäß Körperschaftsteuerbescheid vom 14.09.2007 von dem GdE der Klägerin nur einen eingeschränkten Verlustabzug i.H.v. 2.100.592,00 € (1.000.000,00 € zzgl. 60% von 1.834.319,00 €) vor, sodass ein zu versteuerndes Einkommen (zvE) i.H.v. 733.727,00 € verblieb. Die danach festzusetzende Körperschaftsteuer betrug 183.431,00 € und der Solidaritätszuschlag 10.088,70 €.
Das von der Klägerin gegen die Körperschaftsteuerfestsetzung betriebene Klageverfahren (Az. 6 K 73/08) wurde am 17.06.2009 übereinstimmend für erledigt erklärt. In materiell-rechtlicher Hinsicht wurde die Körperschaftsteuerfestsetzung für 2005 nicht mehr beanstandet.
Bereits mit Schreiben vom 16.10.2007 hatte die Klägerin den Erlass der mit Bescheid vom 14.09.2007 festgesetzten Körperschaftsteuer und des Solidaritätszuschlags für 2005 beantragt. Sie machte geltend, dass es unbillig sei, wenn sie die negativen Folgen der zu Unrecht erhobenen Umsatzsteuern der Jahre 1996 bis 2005 zu tragen hätte. Die Körperschaftsteuerbelastung sei ausschließlich durch die für das Streitjahr geltende Verlustverrechnungsbeschränkung verursacht worden. Hätte sie in den Vorjahren keine Umsatzsteuern entrichten müssen, dann wären die sich danach ergebenden Mehrerträge mit den jährlichen Verlusten ausgeglichen worden, sodass im Ergebnis keine Körperschaftsteuern auf die Mehrerträge angefallen wären (s. Tabelle 2):
Entwicklung des Verlustvortrags und des zvE bei fiktiver Nichtabführung der USt
|
GdE alt |
USt-Erstattung |
GdE neu |
Verlustabzug |
zvE |
Verlustvortrag 31.12.1993 |
|
|
|
3.223.443 |
|
1994 |
-654.487 |
0 |
-654.487 |
654.487 |
-654.487 |
1995 |
331.474 |
0 |
331.474 |
-331.474 |
0 |
1996 |
-171.544 |
325.487 |
153.943 |
-153.943 |
0 |
1997 |
-477.854 |
414.102 |
-63.752 |
63.752 |
-63.752 |
1998 |
-1.181.576 |
633.006 |
-548.570 |
548.570 |
-548.570 |
1999 |
-1.918.045 |
937.482 |
-980.563 |
980.563 |
-980.563 |
2000 |
-2.446.263 |
983.997 |
-1.462.266 |
1.462.266 |
-1.462.266 |
2001 |
-1.550.561 |
747.432 |
-803.129 |
803.129 |
-803.129 |
Zwischensumme |
|
4.041.506 |
|
7.250.793 |
|
Euro |
|
2.066.389 |
|
3.707.272 |
|
2002 |
102.105 |
380.646 |
482.751 |
-482.751 |
0 |
2003 |
-652.194 |
240.272 |
-411.922 |
411.922 |
-411.922 |
2004 |
-578.964 |
223.860 |
-355.104 |
355.104 |
-355.104 |
Verlustvortrag 31.12.2004 |
|
|
|
3.991.547 |
|
2005 |
2.834... |