Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Schätzungsbefugnis ohne einen Schätzungsanlass

 

Leitsatz (amtlich)

Das Finanzamt darf Besteuerungsgrundlagen nicht nach § 162 AO schätzen, wenn kein Schätzungsanlass i.S.d. § 162 Abs. 2 AO vorliegt. Fehlt ein Schätzungsanlass ist nach Beweislastregeln zu entscheiden.

 

Normenkette

AO § 162

 

Tatbestand

Streitig geblieben ist die Hinzuschätzung von Mieterlösen für die Überlassung von LKW-Anhängern.

Die Klägerin betrieb vom 01.06. bis 31.12.2001 einen Nutzfahrzeuge-Service. Der Geschäftsbetrieb umfasste u.a. auch die Vermietung von Fahrzeugen. Neben einem von der Klägerin angeschafften Sattelanhänger und einem VW-Transporter unterhielt die Klägerin drei weitere Anhänger/Auflieger der Marken A, B und C (Anhänger). Diese Fahrzeuge hatte die Klägerin von ihrem damaligen Lebensgefährten und vormaligen Betriebsinhaber zur Nutzung übernommen.

Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung für das Jahr 2001 erhöhte der Betriebsprüfer - neben anderen hier nicht streitigen Positionen - den Gewinn aus Gewerbebetrieb der Klägerin um geschätzte Mieterlöse für die Anhänger in Höhe von 30.000 DM (brutto) und um einen geschätzten Entnahmewert des VW-Transporters in Höhe von 13.299,64 (brutto). Die aus diesen Prüfungsfeststellungen resultierende Mehr-Umsatzsteuer in Höhe von 4137,94 DM (Mieterlöse) und 1.834,43 DM (Entnahme) wurde darüber hinaus gewinnmindernd berücksichtigt.

Gegen die nach Betriebsprüfung für das Streitjahr ergangenen Änderungsbescheide zur Einkommen- und Umsatzsteuer vom 12.08.2004 legte die Klägerin am 16.09.2004 fristgerechte Einsprüche ein, die der Beklagte mit Einspruchsentscheidungen vom 15.10.2004 (Postaufgabedatum: 18.10.2004) zurückwies.

Am 22.11.2004 hat die Klägerin Klage erhoben. Mieteinnahmen für die Anhänger seien nicht erzielt worden und die diesbezüglichen Prüfungsfeststellungen aus der Luft gegriffen. Darüber hinaus habe der Beklagte nicht berücksichtigt, dass sie - die Klägerin - wiederholt erklärt habe, dass der VW-Transporter in 2001 einen Totalschaden erlitten und somit nicht bei Betriebseinstellung übernommen werden konnte.

Die Klägerin beantragt sinngemäß (unter Reduzierung des ursprünglichen Klagebegehrens), wie erkannt.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Es sei unwahrscheinlich, dass die Klägerin keine Einnahmen aus der Vermietung der Anhänger erzielt habe. Die LKW-Vermietung sei Gegenstand des Geschäftsbetriebs gewesen. Aus dem Verlust der von der Klägerin angeschafften Fahrzeuge sei ersichtlich, dass eine Fahrzeugvermietung grundsätzlich stattgefunden habe. Die Schätzung der Mieterlöse sei auch der Höhe nach angemessen.

Der Berichterstatter hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert. Auf die Sitzungsniederschrift vom 21.11.2005 wird Bezug genommen. Darüber hinaus erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren - § 90 Abs. 2 FGO - einverstanden.

Ergänzend nimmt das Gericht Bezug auf den Inhalt der vorgenannten Schriftsätze, Verwaltungsakte und Steuerakten, nämlich

- 1 Bd. Einkommensteuerakten

- 1 Bd. Rechtsbehelfsakten

- 1 Bd. Umsatzsteuerakten

- 1 Bd. Bp-Arbeitsakten

- 1 Bd. Betriebsprüfungsakten.

 

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung, § 79a Abs. 4 i.V.m. Abs. 3, § 90 Abs. 2 FGO.

Die zulässige Klage ist hinsichtlich der streitig gebliebenen Hinzuschätzung der Mieterlöse begründet. Die angefochtenen Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide verletzen die Klägerin insoweit in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

1. a. Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind, § 162 Abs. 1 AO. Da die Schätzung eine besondere Art der Sachverhaltsfeststellung darstellt, nämlich eine solche mit reduziertem Beweismaß, bedarf die Anwendung einer Schätzung (statt einer zur vollen Überzeugung führenden Sachaufklärung) einer besonderen Rechtfertigung (Schätzungsanlass; Rüsken in Klein, AO, 8. Aufl., § 162 Rz. 3). Die Voraussetzungen einer Schätzung - die Schätzungsanlässe - sind im Wesentlichen in § 162 Abs. 2 AO geregelt. Danach ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Aufklärung zu geben vermag oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können. Wenn nach den dort genannten Maßstäben ein Schätzungsanlass fehlt, ist nach Beweislastgrundsätzen zu entscheiden. Keinesfalls darf die Schätzung ohne einen besonderen, rechtfertigenden Grund für die mit ihr verbundene Reduzierung des Beweismaßes an die Stelle einer Beweislastentscheidung gesetzt werden (Rüsken, in Klein, AO, 8. Aufl., § 162 Rz. 5).

b. Nach diesen Grundsätzen war die von dem Beklagten vorgenommene Hinzuschätzung der Mieterlöse unzulässig. Ein Schätzungsanlass war nicht gegeben. Zum einen konnte die Klägerin keine weiteren Angaben...

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