Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozessrechtliche Folgen einer einseitigen Erledigungserklärung - Frist für die verwaltungsinterne Umsetzung einer vom EuGH entschiedenen Rechtsfrage
Leitsatz (amtlich)
1. Erklärt die Klägerseite einseitig den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt, beschränkt sich der Rechtsstreit bei Zulässigkeit des ursprünglichen Verfahrens auf die Erledigungsfrage.
2. Beantragt die Klägerseite bezüglich eines ruhenden Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO, das Einspruchsverfahren fortzuführen, ist die Erhebung einer Untätigkeitsklage nicht rechtsmissbräuchlich, wenn die Beklagtenseite dem Antrag nicht nachkommt.
3. Für die verwaltungsinterne Umsetzung einer vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Rechtsfrage ist der Verwaltung grundsätzlich lediglich eine Frist von drei Monaten einzuräumen.
Normenkette
FGO §§ 46, 135 Abs. 1, § 138 Abs. 2; AO § 363 Abs. 2
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 29.05.2019; Aktenzeichen VII B 61/18) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.
Die Klägerin importierte aus der Volksrepublik China Waren, bezüglich der das beklagte Hauptzollamt im Rahmen der zollrechtlichen Abwicklung dieser Einfuhren unter Hinweis auf die Verordnung Nr. 642/2008 bzw. 1355/2008 Antidumpingzoll festsetzte. Nachdem der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 22.03.2012 (C-338/10) die Verordnung Nr. 1355/2008 für ungültig erklärt hatte, erstattete das beklagte Hauptzollamt in der Folgezeit der Klägerin antragsgemäß die von ihr aufgrund der diesbezüglichen Abgabenbescheide entrichteten Antidumpingzölle.
Mit Schreiben vom 06.12.2012 beantragte die Klägerin beim beklagten Hauptzollamt die Festsetzung von Zinsen auf die jeweils erstatteten Antidumpingzölle für die Zeit zwischen Zahlung und Erstattung der Beträge, was das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 03.04.2013 ablehnte. Die Klägerin erhob hiergegen unter dem 08.04.2013 Einspruch. Mit Schriftsatz vom 29.07.2013 regte die Klägerin an, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen bis zur Entscheidung eines Musterverfahrens durch das Finanzgericht Hamburg, und schlug als Musterverfahren das Einspruchsverfahren RL ... vor. Das beklagte Hauptzollamt folgte dieser Anregung und ließ das Einspruchsverfahren ruhen, bis die Streitfrage in dem finanzgerichtlichen Verfahren 4 K 51/14 entschieden sei.
Unter dem 19.01.2017 forderte die Klägerin das beklagte Hauptzollamt unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-365/15 auf, dem Einspruch unverzüglich, spätestens bis zum 20.02.2017 stattzugeben, da aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nunmehr feststehe, dass ihr Zinsen auf die von ihr entrichteten Antidumpingzölle von dem Zeitpunkt ihrer Zahlung bis zu ihrer Erstattung zu zahlen seien.
Das beklagte Hauptzollamt verwies mit Schriftsatz vom 14.02.2017 darauf, dass das Einspruchsverfahren mit Zustimmung der Klägerin bis zur Entscheidung des Finanzgerichts in dem Verfahren 4 K 51/14 bzw. 4 K 10/17 (neu) ruhe. Dieses finanzgerichtliche Verfahren stelle ein sog. Musterverfahren dar, dessen rechtskräftiger Abschluss abgewartet werde, bevor in dem Einspruchsverfahren eine Entscheidung ergehe. Im Übrigen sei die Höhe des Zinssatzes mit der Generalzolldirektion noch nicht abgestimmt. Bevor die Generalzolldirektion keine Entscheidung getroffen habe, sei eine Berechnung der Zinsen nicht möglich.
Die Klägerin erhob am 01.03.2017 Untätigkeitsklage. Sie verwies zur Begründung im Wesentlich darauf, dass der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 18.01.2017 (C-365/15) entschieden habe, dass eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten bestehe, würden Einfuhrabgaben, zu denen auch Antidumpingzölle gehörten, deshalb erstattet, weil sie unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden seien, Rechtsuchenden, die einen Anspruch auf die Erstattung der entrichteten Beträge hätten, diese ab dem Zeitpunkt ihrer Erstattung zu verzinsen.
Mit Beschluss vom 15.08.2017 hat der Senat auf die übereinstimmenden Anträge der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens 4 K 10/17 angeordnet.
Nachdem der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 05.12.2017 (VII B 85/17) die Nichtzulassungsbeschwerde des beklagten Hauptzollamtes gegen das stattgebende Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 19.07.2017 (4 K 10/17) zurückgewiesen hatte, nahm der Senat das Verfahren auf Antrag der Klägerin am 04.01.2018 wieder auf.
Mit Schriftsatz vom 14.02.2018 teilte das beklagte Hauptzollamt mit, dass es unter dem 08.02.2018 einen Zinsbescheid über einen Zinsbetrag in Höhe von insgesamt 89.873,75 Euro erlassen habe. Daraufhin erklärte die Klägerin ebenfalls mit Schriftsatz vom 14.02.2018 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, die Kosten des Verfahrens dem beklagten Hauptzollamt aufzuerlegen.
Das beklagte Hauptzollamt teilte mit Schriftsatz vom 28.02.2018 mit, dass eine Erledigungserklärung nicht abgegeben werde, und bemerkte ...