Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Wiedereinsetzung bei Fehl-Adressierung einer E-Mail durch einen Boten
Leitsatz (amtlich)
Setzt ein Steuerpflichtiger eine Hilfsperson ein, so ist dessen Verschulden hinsichtlich der Versäumung der Einspruchsfrist nicht dem Steuerpflichtigen zuzurechnen. Das gilt auch, falls die Hilfsperson eine E-Mail-Adresse fehlerhaft überträgt und der Einspruch deshalb nicht rechtzeitig ankommt.
Normenkette
AO § 110
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtzeitigkeit eines Einspruchs gegen einen Kindergeldaufhebungs- und -rückforderungsbescheid.
Die Klägerin [B] ist die Mutter von F (im Folgenden F, geb. am ... 1995). F studierte jedenfalls ab dem Sommersemester 2015 an der Hochschule C ... und spätestens ab dem Sommersemester 2018 ....
Mit Bescheid vom 24. September 2015 setzte die Beklagte ab Juni 2015 Kindergeld für F fest. Mit Bescheid vom 7. Februar 2018 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für F auf, da sie davon ausging, dass die Hochschulausbildung beendet sei. Nachdem die Klägerin weitere Unterlagen vorgelegt hatte, setzte die Beklagte auf Antrag der Klägerin hin mit Bescheid vom 11. April 2018 Kindergeld für F ab März 2018 fest, da sich F weiterhin an einer Hochschule in Ausbildung befinde.
Nachdem die Klägerin trotz Aufforderung keinen Nachweis über das Ende der Ausbildung vorgelegt hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juni 2021 die Kindergeldfestsetzung für F für Oktober 2017 bis einschließlich August 2020 auf und forderte den überzahlten Betrag (7.434 €) zurück.
Am 20. Juli 21 ging ein Einspruch der Klägerin per E-Mail bei der Beklagten ein. Dies E-Mail wurde von dem jüngeren Sohn der Klägerin, A, abgesandt. Hierin heißt es:
"Wiederholt hatte ich versucht sie per email zu kontaktieren und die Immatrikulationsbescheinigung fristgerecht zu senden. Hiermit sende ich Ihnen die Unterlagen und noch ein Screenshot von der Email, die ich fristgerecht mit den Unterlagen gesendet hatte und lege wiederholt Einspruch auf die Forderung ein. Mit freundlichen Grüßen, B."
Beigefügt war ein Screenshot einer E-Mail vom "2. Juli" mit dem Betreff "Einspruch auf die Rechnung vom 02.06.2021". Hierin heißt es:
"Hiermit reiche ich ihnen ein Einspruch ein zu der oben genannten Rechnung in Höhe von 7434 Euro. Die Begründung für den Einspruch ist das ich [F] keine Exmatrikulation bekommen habe sondern weiter studiere an der selben Uni. Anbei sende ich ihnen meine gesamten Immatrikulationsbescheinigungen. Mit freundlichen Grüßen, [F]".
Beigefügt waren diverse Immatrikulationsbescheinigungen. Dem Screenshot der E-Mail des F vom 2. Juli 2021 lässt sich entnehmen, dass diese adressiert war an "familienkasse-nord@arbeitsargent..." (sic!).
Nach Anhörung zum Grund des Fristversäumnisses erläuterte die Klägerin mit Schreiben vom 19. August 2021, sie sei zunächst davon ausgegangen, dass die E-Mail vom 2. Juni 2021 angekommen sei. Auf telefonische Nachfrage eine Woche später habe sie erfahren, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Sie habe eine Woche warten müssen, da die Wartezeit, bis eine E-Mail bei der Familienkasse ankomme, eine Woche betragen könne. Man habe ihnen empfohlen, die E-Mail einfach durch Weiterleiten erneut an die Familienkasse zu senden. Nach einer erneuten Wartezeit von einer Woche habe sich bei einem weiteren Telefonat herausgestellt, dass die E-Mail wieder nicht angekommen sei. Erst daraufhin sei der Tippfehler in der E-Mail-Adressierung aufgefallen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 29. September 2021 verwarf die Beklagte den Einspruch als unzulässig. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren. Die Klägerin als Vertretene habe sich ein Versäumnis einer beauftragten dritten Person zurechnen zu lassen. Es liege im Verantwortungsbereich der Klägerin, die E-Mail ohne Schreibfehler in der Adressierung an die Beklagte zu versenden. Das Risiko einer fehlgeschlagenen Übermittlung trage der Absender.
Am 19. Oktober 2021 hat die Klägerin zunächst einen isolierten PKH-Antrag gestellt und sich gegen die Einspruchsentscheidung gewandt. Der stattgebende PKH-Beschluss vom 18. Januar 2022 ist der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 22. Januar 2022 zugestellt worden. Die Klägerin hat daraufhin am 2. Februar 2022 Klage erhoben und Wiedereinsetzung in die Klagfrist beantragt.
Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren und ergänzt, sie habe F gebeten, die Immatrikulationsbescheinigungen an die Beklagte zu senden, und kurz danach nachgefragt, ob er sicher sei, dass es angekommen sei. Sie habe F aber nicht gefragt, ob er die E-Mail an die richtige Adresse gesandt habe oder ob er eine Nachricht über eine mögliche Unzustellbarkeit erhalten habe. Sie trägt zudem vor, es habe oft Probleme mit der Postzustellung gegeben, so dürfte es auch bei der Übersendung des Bescheides vom 2. Juni 2021 gewesen sein.
Die Klägerin beantragt,
die Einspruchsentscheidung vom 29. September 2021 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Einspruch sei verspätet und W...