rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Bewertungsgesetz, Bürgerliches Gesetzbuch: Bindung von Abhilfezusage und tatsächlicher Verständigung über Gesamtgebäudewert
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bindungswirkung einer Abhilfezusage kann nicht ohne die Voraussetzungen des § 129, §§ 130 ff. AO nachträglich beseitigt werden.
2. Die Bindung an die tatsächliche Verständigung über einen Gesamtgebäudewert für die Einheitsbewertung entfällt nicht aufgrund nachträglicher Behauptung eines Fehlers oder Irrtums hinsichtlich einzelner Rechengrößen oder Zwischenschritte der zugrunde gelegten gutachterlichen Wertermittlung.
Normenkette
AO §§ 118, 129-132, 165 Abs. 1 Nr. 1, § 207; FGO §§ 74, 99 Abs. 2; BewG §§ 85, 88, 90; BGB § 119
Tatbestand
Im Rahmen des Klageverfahrens betreffend den Grundstücks-Einheitswert für einen Bau- und Gartenmarkt ist streitig, ob oder inwieweit der Beklagte (das Finanzamt --FA--) an seine Abhilfezusage und die ihr zugrunde liegende tatsächliche Verständigung über den Gesamtgebäudewert gebunden ist.
I.
...
II.
1. Nach der Bebauung schrieb das FA den Einheitswert auf den 1. Januar 2009 mit Bescheid vom 3. September 2009 fort. Es stellte den Einheitswert in Höhe von 7.743.800 DM (3.959.342 EUR) fest. Hierbei ordnete es den Bau- und Gartenmarkt nach Anlage 15 zu Abschnitt 38 der Richtlinien zur Bewertung des Grundvermögens -BewRGr-- in die Gebäudeklasse 9.21 für "Markthallen, Messehallen und dergleichen" ein und legte es folgende Werte zugrunde (EW-A Bl. 177 ff.):
...
2. Gegen den Einheitswertbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 4. September 2009 Einspruch ein. Der Bau- und Gartenmarkt falle nicht unter die Gebäudeklasse 9.21 "Markthallen, Messehallen und dergleichen". Für die Bewertung von Bau- und Gartenmärkten in der von ihr - der Klägerin - im Bundesgebiet betriebenen Größenordnung treffe keine Gebäudeklasse aus den BewRGr zu. Für die Einordnung des Objekts in eine Gebäudeklasse sei die Bauausführung von entscheidender Bedeutung; aufgrund dieser sei der Bau- und Gartenmarkt in Anlehnung an die Gebäudeklasse 2 wie ein "Lagergebäude" zu bewerten. Dagegen führten die Bewertungsansätze des FA zu einer deutlichen Abweichung zwischen dem Gesamtgebäudewert und den zurückgerechneten Herstellungskosten (EW-A Bl. 179 ff.).
3. Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 22. Juni 2010 als unbegründet zurück und gab diese mit einfachem Brief bekannt. Bei der Einordnung des Bau- und Gartenmarktes in eine Gebäudeklasse komme es vorrangig nicht auf die Bauausführung, sondern auf die tatsächliche Nutzung an. Schon der Aufbau der Tabelle in den BewRGr lasse darauf schließen, dass die Zuordnung der Grundstücksgruppen ausschließlich mit der Art der Nutzung zusammenhänge. Die Höhe eines Baumarktes könne kein Kriterium für die Einordnung in eine bestimmte Gebäudeklasse sein, denn weiter werde nur noch nach der Art der Ausstattung untergliedert. Bei der Einordnung in die Gebäudeklasse 9.21 "Markthallen, Messehallen und dergleichen" stehe die Art des Warenverkaufs in Form eines Selbstbedienungsmarktes als Zweck der Grundstücks- und Gebäudenutzung im Vordergrund. Diesem diene die Lagerung als Nebenzweck. Die individuellen Herstellungskosten seien kein Indiz dafür, dass die durchgeführte Bewertung außerhalb jeglicher Toleranz bezüglich durchschnittlicher, standardisierter Herstellungskosten vergleichbarer Bauwerke liege (EW-A Bl. 211 ff.).
III.
1. Die Klägerin hat am 23. Juli 2010 beim Finanzgericht (FG) Klage erhoben und zur Klagebegründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft (FG-A Bl. 5 ff.). Ergänzend hat sie auf bestehende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung für die Zeit ab 1. Januar 2007 verwiesen und sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. Juni 2010 II R 60/08 (BFHE 230, 78, BStBl II 2010, 897) bezogen.
Die Klägerin hat angekündigt, sinngemäß zu beantragen, den Einheitswert auf den 1. Januar 2009 unter Einstufung des Bau- und Gartenmarktes in die Gebäudeklasse 2 als "Lagergebäude" niedriger festzustellen (FG-A Bl. 1 f.).
2. Das FA hat den Antrag angekündigt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat es auf seine Einspruchsentscheidung verweisen (FG-A Bl. 11 ff.).
IV.
1. Im - telefonischen - Erörterungstermin vom 19. Januar 2011 hat der Berichterstatter beschlossen, Beweis zu erheben durch mündliches Sachverständigengutachten in Verbindung mit richterlicher Augenscheinseinnahme im Rahmen eines Ortstermins nach Beiziehung der Bau- und Grundakten (FG-A Bl. 22 ff., 25).
2. Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 4. April 2011 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen (FG-A Bl. 35).
3. In der am 4. April 2011 als Ortstermin durchgeführten mündlichen Verhandlung ist zunächst eine Ortsbesichtigung vorgenommen und ist der gesamte Bau- und Gartenmarkt sowie Baustoffhandel mit allen Bauteilen in Augenschein genommen worden. Dabei sind Feststellungen zu den einzelnen örtlichen Gegebenheiten sowie zur Bauausführung un...