Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Anrechenbarkeit des Verschuldens von Familienangehörigen bei verspäteter Einspruchsfrist und Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand
Leitsatz (amtlich)
Familienangehörige, die nicht mit der Vornahme fristwahrender Handlungen, sondern nur mit der Entgegennahme eingehender Post beauftragt sind, bzw. mit der Briefkastenleerung, sind keine Vertreter i.S.d. § 110 Abs. 1 S. 2 AO oder des § 85 ZPO, sondern nur Hilfspersonen, deren Verschulden der Steuerpflichtige sich nicht zurechnen lassen muss.
Normenkette
AO § 110 Abs. 1 S. 2; ZPO § 85 Abs. 2; EStG § 32 Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Festsetzung für Kindergeld für den Sohn A des Klägers im Zeitraum August 2005 bis September 2007 sowie die Rückforderung des in diesem Zeitraum gezahlten Kindergeldes streitig.
Der Kläger bezog für seinen Sohn A laufend bis einschließlich August 2007 Kindergeld. A, geb. am XXXXX 1987 befand sich vom 01.08.2004 bis Ende Juli 2007 in einer Ausbildung als Koch (Berufsausbildungsvertrag vom 22.04.2004 - Gerichtsakte (GA) Bl. 25).
Mit Bescheid vom 21.02.2008 hob die Beklagte die Festsetzung für A für den Zeitraum 01.08.2005 bis 30.09.2007 auf, weil für diesen Zeitraum trotz mehrfacher Aufforderungen (KG-Akte Bl. 46) keine Nachweise für die Ausbildung von A vorgelegt worden waren. Gleichzeitig wurde der überzahlte Betrag von 4.654 Euro zurückgefordert. Die Beklagte übersandte den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid am 28.02.2008 mit einfacher Post.
Am 13.05.2008 legte der Kläger telefonisch Einspruch ein und führte mit Schreiben vom 15.05.2008 aus, dass er den Bescheid erst am 13.05.2008 zur Kenntnis erhalten habe. Er sei von seinen Kindern, die gewöhnlich den Briefkasten leerten, aus dem Briefkasten entnommen worden und dann versehentlich im Altpapier gelandet, wo er ihn erst jetzt gefunden habe.
Sein Sohn habe seine Lehre zeitgemäß im Juli 2007 beendet und gleich eine Anstellung gefunden. Dem Lehrvertrag, der der Beklagten bereits vorliege, habe das Ende der Ausbildung im Juli 2007 entnommen werden können. Gleichzeitig bat der Kläger um Rücknahme des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides.
Die Beklagte wertete das Einschreiben auch gleichzeitig als Antrag auf Wiedereinsetzung.
Mit Einspruchsentscheidung vom 28.05.2008 verwarf sie den Einspruch als unzulässig, weil ihrer Ansicht nach keine Wiedereinsetzungsgründe vorgelegen hätten. Der Kläger müsse sich die Nichtweitergabe des Briefes in seinem häuslichen Bereich zurechnen lassen.
Mit Schreiben vom 30.06.2008, beim Finanzgericht eingegangen am gleichen Tage, beantragte der Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) zur Durchführung des Klageverfahrens gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des im streitigen Zeitraum gezahlten Kindergeldes, und fügte seinem Schreiben eine Klagschrift bei, die neben der Überschrift Klage in Klammern die Bezeichnung Entwurf enthielt. Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen seine Ausführungen im Einspruchsverfahren.
Mit Beschluss vom 26.09.2008 (GA Bl. 29) wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe gewährt unter Beiordnung des Klägervertreters.
Der Kläger beantragt,
1. dem Kläger Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist zu gewähren
2. den Bescheid vom 21.02.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28.05.2008 dahin abzuändern, dass die Kindergeldfestsetzung für A erst am 01.09.2007 aufgehoben und die Rückforderung auf 179 Euro (September 2007) ermäßigt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage, da ihr die Klagschrift nicht nach dem gewährenden Prozesskostenhilfebeschluss nochmals zugestellt worden sei und sie vom Inhalt lediglich im Rahmen des PKH-Verfahrens Kenntnis erlangt habe. Daneben führt sie im Wesentlichen aus, dass der Kläger nicht unverschuldet die Einspruchsfrist versäumt habe. Er müsse sich das Verhalten seiner Kinder zurechnen lassen. Der Kläger habe mit dem Bescheid der Beklagten rechnen müssen, nachdem er die Aufforderung der Beklagten, Nachweise über den Ausbildungsstand und die Einkünfte von A unbeantwortet gelassen habe.
Mit Beschluss vom 19.11.2008 (GA Bl. 40) hat der Senat den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
Die Einzelrichterin hat am 20.11.2008 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt; insoweit wird auf den Inhalt des Protokolls vom 20.11.2008 (GA Bl. 27 ff) Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 08.01.2009 wurden die beiden Kinder des Klägers B und C als Zeugen gehört. Auf die Vernehmung der weiteren Tochter des Klägers D wurde seitens der Beteiligten verzichtet. Für den Inhalt der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.01.2009 Bezug genommen (GA Bl. 60 ff).
Die Kindergeldakte XXXXXXX hat dem Gericht vorgelegen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig. Sie wurde fristgerecht gemäß § 47 FGO erhoben. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, ...