Revision eingelegt (BFH VII R 37/12)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zolltarif: Einreihung von Aminosäuremischungen
Leitsatz (amtlich)
1. Aminosäuremischungen, die notwendigerweise im Rahmen einer Behandlung von Säuglingen mit Kuhmilchproteinallergie eingesetzt werden, sind gleichwohl nicht als Arzneimittel in die Position 3003 KN einzureihen.
2. Eine Einreihung in die Position 3003 KN setzt eine arzneiliche Wirkung des Erzeugnisses voraus, das darüber hinausgehen muss, dem Körper die für seinen Stoffwechsel erforderlichen Grundstoffe zu liefern.
Normenkette
ZK Allgemein
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über zwei verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) für Aminosäuremischungen und zwar im Wesentlichen darüber, ob sie als Lebensmittel oder als Arzneimittel einzureihen sind.
1. Die streitgegenständlichen Aminosäuremischungen bestehen aus weißem Pulver, das jeweils aus mehreren (18 bzw. 19) verschiedenen, hochrein hergestellten Einzelaminosäuren gemischt wird. Aminosäuren sind Bestandteile von auch Eiweiße genannten Proteinen. Die streitgegenständlichen Aminosäuremischungen sind dazu bestimmt, vom Menschen oral (=enteral) aufgenommen zu werden. Die Klägerin stellt die nicht für den Einzelverkauf aufgemachten, sondern als sogenannte Bulkware gehandelten Mischungen nach Vorgaben ihres Abnehmers her, der aus ihnen und Kohlenhydraten und Fetten Waren herstellt, die er als Säuglings- und Kindernahrung ("A") vermarktet. Zielgruppe sind Säuglinge und Kinder mit Kuhmilch(-protein-)allergie. Menschen mit Kuhmilchproteinallergie haben durch immunologische Mechanismen hervorgerufene Hypersensitivitäts- bzw. Überempfindlichkeitsreaktionen auf ein oder mehrere Kuhmilchproteine, die schwerwiegend sein und auch weitere gesundheitliche Störungen nach sich ziehen können. Die sogenannten Kuhmilchproteine sind nicht tierartspezifisch. Kuhmilchproteine können auch in der Muttermilch auftreten. Im Rahmen der Behandlung eines Kuhmilchallergikers wird versucht, jegliche Zufuhr von Kuhmilchproteinen zu vermeiden, um die Überreaktion des Immunsystems zu vermeiden. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist die Vermeidung (Karenz) schwierig bis unmöglich, weil der Verzicht von Milch bzw. Milchprodukten gleichzeitig den Verzicht auf die Zufuhr der notwendigen Proteine des im Wachstum begriffenen Organismus darstellt und von Mangelzuständen, Wachstumsstörungen und schweren Entwicklungsstörungen begleitet wird; für Ältere gegen die Symptome eingesetzte Medikamente werden zudem von Säuglingen und Kleinkindern zumindest zumeist nicht vertragen. Unstreitig führt eine Behandlung unter Verabreichung der streitgegenständlichen Aminosäuremischungen bei ca. 80 % der Fälle dazu, dass sich das Immunsystem des Kindes normal entwickelt mit der Folge, dass auch eine normale Ernährungsaufnahme möglich ist.
2. Die Klägerin stellte am 12.08.2008 zwei Anträge auf verbindliche Zolltarifauskünfte zur Einreihung von Aminosäuremischungen mit den Bezeichnungen R-1 bzw. R-2 in die Kombinierte Nomenklatur (KN). Die Klägerin gab zur Einreihung die Warentarifnummer 3003 9090 "Arzneiwaren (ausgenommen Erzeugnisse der Position 3002, 3005 oder 3006), die aus zwei oder mehr zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gemischten Bestandteilen bestehen, weder dosiert noch in Aufmachungen für den Einzelverkauf - andere" an. Dem Antrag beigefügt worden war jeweils ein Blatt mit Angaben über die Zusammensetzung der Waren. Eine Warenprobe wurde nicht vorgelegt. In dem Feld "8. Warenbeschreibung" gab die Klägerin zunächst jeweils an: "Produktbezeichnung: Aminosäuremischung R-1 bzw. R-2, Aminosäuremischung bestimmt als Rohstoff zur Herstellung von Produkten zur therapeutischen Ernährung (z. B. postoperativen enteralen Ernährung per Sonde unter ärztlicher Aufsicht".)
3. Die von der Bundesfinanzdirektion B am 23.10.2008 erteilten verbindlichen Zolltarifauskünfte reihten die Waren jeweils in die Position 2106 9092 KN "Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen, kein Milchfett und keine Saccharose, Isoglucose, Stärke oder Glucose enthaltend; kein Erzeugnis der Position 3003 KN, da es weder zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken im Sinne dieser Position noch intravenös verabreicht wird" ein. Zwischen den Beteiligten besteht Einvernehmen, dass es sich nicht um Waren der Positionen 3002, 3005 oder 3006 KN handelt.
4. Die Klägerin legte am 24.11.2008 Einspruch ein. Eine Nachfrage bei ihrem Abnehmer habe ergeben, dass die Aminosäuremischungen nicht - wie irrtümlich im Antrag ausgeführt - zu Sondennahrung verarbeitet werden, sondern zu Produkten, die zur Therapierung hauptsächlich von Kuhmilchallergie sowie anderen verschiedenen Nahrungsmittelallergien und Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes und zur Prophylaxe verwendet werden und die von ihrem Abnehmer für den Einzelverkauf aufgemacht werden. Den Einspruch wies der zwischenzeitlich auf Beh...