Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuer
Leitsatz (amtlich)
- Wer Vorstandsmitglied und damit gesetzlicher Vertreter einer AG ist, muss bis zur Niederlegung seines Amtes die steuerlichen Interessen der Gesellschaft wahrnehmen und die daraus resultierenden Pflichten ordnungsgemäß erfüllen. Zu diesen Pflichten gehört die fristgerechte Entrichtung der Lohnsteuer.
- Sind mehrere gesetzliche Vertreter bestellt, so trifft jeden von ihnen die Pflicht zur Geschäftsführung in vollem Umfang. Grundsätzlich hat daher auch jeder von ihnen alle steuerlichen Pflichten, die der AG auferlegt sind, ordnungsgemäß zu erfüllen (Prinzip der Gesamtverantwortung). Begrenzt werden kann diese Pflicht bei mehreren gesetzlichen Vertretern nur durch eine im Vorhinein getroffene, eindeutige - und deshalb schriftliche - Klarstellung, welcher Vertreter für welchen Bereich zuständig ist.
- Auch bei Vorliegen einer klaren, eindeutigen und schriftlichen Aufgabenverteilung muss der nicht mit den steuerlichen Angelegenheiten einer Gesellschaft betraute Vertreter einschreiten, wenn die Person des Mit-Vertreters oder die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft dies erfordern, beispielsweise in finanziellen Krisensituationen. Zudem muss er dafür sorgen, dass er im Falle des Eintritts einer solchen Krise rechtzeitig davon erfährt.
- Gerade in der finanziellen Krise wird von den gesetzlichen Vertretern einer Gesellschaft verlangt, dass sie vorausschauend planen und entsprechende Mittel zur Entrichtung von Steuern bereithalten, von denen sie wissen, dass ihre Entstehung unmittelbar bevorsteht.
- Besonderheiten gelten für die Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer: Reichen infolge eines Liquiditätsengpasses die der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteuer) nicht aus, dürfen die Löhne nur gekürzt ausgezahlt werden, als Vorschuss oder Teilbetrag, so dass der gesetzliche Vertreter aus den der Gesellschaft verbleibenden Mitteln die auf die gekürzten Löhne entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen kann. Kommt der gesetzliche Vertreter dieser Verpflichtung nicht nach und vertraut er darauf, dass er die Steuerrückstände später, nach Behebung der Liquiditätsschwierigkeiten, wird ausgleichen können, so ist er damit bewusst das Haftungsrisiko des § 69 AO eingegangen.
Normenkette
AO § 34 Abs. 1, § 69 S. 1; FGO § 102
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welchem Umfang der Kläger für Steuerschulden der A AG haftet und zwar nur (noch) in Bezug auf Lohnsteuer für den Monat Februar 2007 in Höhe von insgesamt 14.931,81 € (einschließlich Lohnkirchensteuer und Solidaritätszuschlag).
Die A AG wurde im Jahr 1999 unter der Firma "B" als GmbH errichtet und später in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Sie war als Management-Holding ohne eigenen operativen Geschäftsbetrieb für vier 100%ige Tochtergesellschaften tätig. Gemäß Eintragung im Handelsregister des Amtsgerichts Hamburg vom ..... 2003 war der Kläger seit Dezember 2003 Mitglied des Vorstands (Register-Nr.: HRB .....); einziges weiteres Vorstandsmitglied war Frau C. Einer beim Registergericht am 03.07.2007 eingegangenen Niederschrift über "die außerordentliche telefonische Sitzung des Aufsichtsrats der A AG vom 18. April 2007" zufolge wurde der Dienstvertrag zwischen dem Kläger und der A AG mit Wirkung zum 18.04.2007, 24.00 Uhr, aufgelöst (Eintragung in das Handelsregister am 13.08.2007).
Ebenfalls im April 2007 gingen bei dem Beklagten Anträge der A AG auf Stundung von Lohnsteuer und auf Vollstreckungsaufschub ein, nachdem bereits die Lohnsteuer für den Monat Januar in Höhe von 18.429,59 € verspätet, am 06.03.2007, gezahlt worden war. Der Beklagte lehnte eine Stundung mit Schreiben vom 24.04.2007 ab und stellte am 02.05.2007 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 13 InsO wegen Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 28.12.2007 wurde über das Vermögen der A AG das Insolvenzverfahren eröffnet.
Mit Schreiben vom 22.02.2008 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die A AG ihre Pflichten nach § 41a EStG zur ordnungsgemäßen Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer verletzt und angefallene Säumniszuschläge nicht entrichtet habe. Einer dem Schreiben beigefügten Aufstellung zufolge ging es um Lohnsteuer für die Monate Februar und März 2007 einschließlich Solidaritätszuschlag und Lohnkirchensteuer, um Säumniszuschläge für die Monate Januar bis März 2007 sowie um Vollstreckungskosten. Die Rückstände beliefen sich auf insgesamt 31.934,55 €. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass ihm die Pflichtverletzung als Vorstandsmitglied der AG gemäß § 34 Abs. 1 AO anzulasten und dass der Haftungstatbestand des § 69 AO damit erfüllt sei. Es sei ermessensgerecht, ihn neben dem weiteren Vorstandsmitglied, Frau C, in Anspruch zu nehmen, um auf diese Weise den Steueranspruch in einem größeren Maße zu sichern. Der Beklagte forderte den Kläger auf, sich zu den Voraussetzungen der Haft...