rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung von Rückforderungsansprüchen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die 30-jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB a. F. ist auf die Rückforderung von zu Unrecht gewährte Ausfuhrerstattung nicht anwendbar (Anschluss an EuGH vom 05.05.2011, C-201/10).

2. Der unionsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es, die in § 195 BGB a. F. vorgesehene 30-jährige Verjährungsfrist in Ausübung einer richterlichen Notkompetenz auf ein mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbaren Maß zu verkürzen (Anschluss an EuGH vom 05.05.2011, C-201/10).

3. Die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB a. F. auf die Rückforderung einer zu Unrecht gewährten Ausfuhrerstattung geht auf keine hinreichend vorhersehbare Rechtsprechungspraxis zurück; der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet daher den Gerichten und Behörden die analoge Anwendung dieser Vorschrift auf Rückforderungsansprüche wegen zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattungen.

 

Normenkette

EGV 2988/95 Art. 1, 3 Abs. 1, 3; BGB a.F. § 195

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Ausfuhrerstattung durch das beklagte Hauptzollamt.

Die Klägerin ließ im April 1993 Rindfleisch zur Ausfuhr nach Jordanien abfertigen und erhielt hierfür auf ihren Antrag vom beklagten Hauptzollamt im Wege der Vorfinanzierung Ausfuhrerstattung. Nach Vorlage entsprechender Zollbelege gab das beklagte Hauptzollamt noch im Jahre 1993 die von der Klägerin gestellten Sicherheiten frei. Nachdem im Jahre 1998 Zweifel aufgekommen waren, ob das Fleisch tatsächlich in den freien Verkehr Jordaniens gelangt oder nicht vielmehr im Transit- und Reexportverfahren in den Irak befördert worden sei, forderte das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 13.10.1999 die der Klägerin gewährte Ausfuhrerstattung zurück.

Ihrer gegen den Rückforderungsbescheid erhobenen Klage gab das Finanzgericht Hamburg im 1. Rechtsgang (Urteil vom 21.04.2005, IV 174/03) mit der Begründung statt, dass dem vom beklagten Hauptzollamt geltend gemachten Rückforderungsanspruch Verjährung gemäß Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 entgegenstehe, weil die Rückforderung mehr als vier Jahre nach der in Rede stehenden Ausfuhr geltend gemacht worden sei; die vierjährige Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 gelte auch für Sachverhalte, die vor dem In-Kraft-Treten dieser Verordnung verwirklicht worden seien. Zwar behielten nach Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, eine längere Frist als die in Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 vorgesehene Frist anzuwenden. Von dieser Ermächtigung habe die Bundesrepublik Deutschland indes keinen Gebrauch gemacht. Eine analoge Anwendung des § 195 BGB a. F. sei schon unter Hinweis darauf abzulehnen, dass die Geltung einer 30-jährigen Verjährungsfrist die Rückforderungsansprüche praktisch unverjährbar mache und die unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unterlaufen würde.

Das beklagte Hauptzollamt legte gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg Revision beim Bundesfinanzhof ein, der das Verfahren aussetzte, um dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (Beschluss vom 27.03.2007, VII R 23/06):

1. Ist die in Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist auch dann anzuwenden, wenn eine Unregelmäßigkeit begangen oder beendet worden ist, bevor die Verordnung Nr. 2988/95 in Kraft getreten ist?

2. Ist die dort geregelte Verjährungsfrist auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung infolge von Unregelmäßigkeiten gewährter Ausfuhrerstattung überhaupt anwendbar?

Falls diese Fragen zu bejahen sein sollten:

3. Kann eine längere Frist gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 von einem Mitgliedstaat auch dann angewandt werden, wenn eine solche längere Frist in dem Recht des Mitgliedstaats bereits vor Erlass der vorgenannten Verordnung vorgesehen war? Kann eine solche längere Frist auch dann angewandt werden, wenn sie nicht in einer spezifischen Regelung für die Rückforderung von Ausfuhrerstattung oder für verwaltungsrechtliche Maßnahmen im Allgemeinen vorgesehen war, sondern sich aus einer allgemeinen, alle nicht speziell geregelten Verjährungsfälle umfassenden Regelung des betreffenden Mitgliedstaats (Auffangregelung) ergab?"

Mit Urteil vom 29.01.2009 (verbundene Rechtssachen C-278/07bis C-280/07) bejahte der Europäische Gerichtshof die beiden ersten Vorlagefragen. Auf die dritte Vorlagefrage antwortete der EuGH wie folgt:

"Die längeren Verjährungsfristen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 weiterhin anwenden dürfen, können sich aus Auffangregelungen ergeben, die dem Erlass dieser Verordnung vorausgehen."

Mit Urteil vom 07.07.2009 (VII R 23/06) hob daraufhin der Bundesfinanzhof das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 21.04.2005 (IV 174/03) mit der Begründung auf, dass der Rückzahlungsanspruch bei Erlass des angefochtenen Bescheides nicht verjährt gewesen sei, weil di...

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