Revision eingelegt (BFH XI R 15/23)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Reichweite des Datenzugriffsrechts der Finanzverwaltung E-Mails als Handelsbriefe Anspruch der Finanzverwaltung auf Vorlage eines elektronischen Gesamtjournals. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: XI R 15/23)
Leitsatz (amtlich)
1. Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 AO stehen der Finanzverwaltung nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat.
2. Handelsbriefe i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO i.V.m. §§ 257 Abs. 2, 343 HGB sind nicht auf eine bestimmte Form beschränkt, sodass auch E-Mails Handelsbriefe sein können. Schriftstücke betreffen ein Handelsgeschäft i.S.d.§§ 343 ff. HGB , wenn sie seine Vorbereitung, Durchführung oder Rückgängigmachung zum Gegenstand haben.
3. Die im Rahmen eines Vertragsverhältnisses, welches seinerseits als Handelsgeschäft i.S.d. § 343 HGB qualifiziert, zu erbringenden Erfüllungsgeschäfte wie die Auskunftserteilung oder Serviceleistungen betreffen die Durchführung dieses Handelsgeschäfts und qualifizieren ebenfalls als Handelsgeschäfte. Sind derartige Erfüllungsgeschäfte in einem Schriftstück verkörpert, unterliegen diese der Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO.
4. Es besteht kein Anspruch der Finanzverwaltung auf Vorlage eines elektronischen Gesamtjournals, welches nach den Vorgaben der Finanzverwaltung Informationen zu jeder einzelnen empfangen bzw. versandten E-Mail des Steuerpflichtigen enthalten soll. Die Aufforderung zur Vorlage eines Gesamtjournals, in dem auch nicht nach § 147 Abs. 1 AO aufbewahrungspflichtige E-Mails aufgelistet bzw. nach den Vorgaben der Finanzverwaltung dargestellt werden sollen, überschreitet die Befugnisse der Finanzverwaltung aus § 147 Abs. 6 AO und ist damit rechtswidrig.
5. Eine allgemein formulierte Aufforderung zur Vorlage von elektronischen Unterlagen "en bloc" kann, unter Berücksichtigung des Erstqualifikationsrechts des Steuerpflichtigen, sowohl dem Bestimmtheitsgebot des § 119 AO genügen als auch von dem Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung nach § 147 Abs. 6 AO gedeckt bzw. verhältnismäßig sein.
Normenkette
AO §§ 119, 147, 200; HGB §§ 257, 343
Tatbestand
Streitig ist die Anforderung der Vorlage von (elektronisch) empfangenen und abgesandten Handels- und Geschäftspapieren sowie sonstiger Unterlagen inklusive eines Gesamtjournals im Rahmen einer Außenprüfung für die Streitjahre 2012 bis 2014.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Hamburg und gehört der Konzerngruppe der A an. Gemäß Handelsregistereintragung lautete der Zweck der Gesellschaft seit der Gründung ... 2009 zunächst wie folgt:
"Angebot von ... (die Akquise von ...) und (die Bereitstellung) von ...funktionen ...".
Am ... 2009, mit Wirkung zum ... 2010, schloss die Klägerin ein "Sales and Marketing Services Agreement" (SMS Agreement), nach dem sie sich zur Erbringung von Servicedienstleistungen gegenüber der B, einer anderen Konzerngesellschaft mit Sitz in D, E, verpflichtete; das SMS Agreement lautet wie folgt:
"(...)
Article ... - Definitions
For purposes of this Agreement, the following terms shall have the following meanings:
(...)
... "Contracted Services" [...]
Article ... - Service Provider's Obligations
X.X Service Provider shall provide Contracted Services as directed by the Company. [...]
Als Vergütung vereinbarten die Parteien einen Aufschlag i.H.v. X % über die im Zusammenhang mit der Erfüllung des SMS Agreements anfallenden Kosten der Klägerin, mit Ausnahme von ...; das SMS Agreement lautet wie folgt: [...]
Das SMS Agreement und seine Auslegung sollen nach dem Willen der Parteien dem Recht des Staates F unterstellt werden; das SMS Agreement lautet wie folgt: [...]
Der "Transfer pricing report - ..." der B vom ... für das Streitjahr 2012 verweist im die Klägerin betreffenden Abschnitt auf das SMS Agreement, stellt in wenigen Sätzen dessen Vertragsgegenstand dar und nimmt Bezug auf die Vergütungsregelung. Laut der dieser Beschreibung beigefügten Tabelle (...) wurden für das Streitjahr 2012 "Total Costs" i.H.v. ... angegeben.
Die Belegschaft der Klägerin war in den Streitjahren in verschiedene Abteilungen untergliedert. Angabegemäß erfolgte etwa im Streitjahr 2014 eine Aufteilung von ... Mitarbeitenden auf insgesamt ... Abteilungen mit unterschiedlichen Funktionen. Für die nach dem SMS Agreement zu betreuenden Kunden war insbesondere die Abteilung [...] (G) mit insgesamt ... Personen im Streitjahr 2014 zuständig.
Im Rahmen einer Gesellschafterversammlung am XX 2018 wurde eine Änderung des Unternehmensgegenstands der Klägerin beschlossen. Ausweislich der nachfolgenden Eintragung im Handelsregister bestand der Zweck der Klägerin darin, "der ... jegliche Dienstleistungen in Verbindung mit ..." zur Verfügung zu stellen, sowie in dem lokalen "Vertrieb von ... in Deutschland". In diesem Zusammenhang schloss die Klägerin im XX 2018 eine neue Vereinbarung in Form eines [...] (H Agreement) mit B ab und wandte fortan die Netto...