Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung und Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes und Anordnungsanspruchs, „ordre public”-Grundsatz, Unbilligkeit
Leitsatz (redaktionell)
1) Beantragt der Stpfl. den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO betreffend die Aufhebung einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung sowie die Einstellung der auf einem Beitreibungsersuchen gemäß EU-Beitreibungsgesetz (EUBeitrG) durch einen anderen EU-Staat basierenden Vollstreckungsmaßnahmen, so erfordert dies die schlüssige Darlegung und Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes sowie eines Anordnungsanspruchs.
2) Einem Vollstreckungsersuchen steht bei summarischer Prüfung nicht der Ablehnungsgrund der Unbilligkeit gemäß § 14 Abs. 1 EUBeitrG bzw. der „ordre public”-Grundsatz, der möglicherweise auch in der Regelung des § 258 AO verkörpert sein könnte, entgegen, soweit geltend gemacht wird, die Haftungsinanspruchnahme im anderen EU-Staat erfolge ohne ein ordnungsgemäßes Haftungsverfahren.
3) Eine Vollstreckung ist nur dann unbillig im Sinne des § 258 AO, wenn sie dem Schuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Abwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte.
4) Ein Anordnungsgrund kann nicht durch den Vortrag dargetan werden, dass das Vermögen des Vollstreckungsschuldners durch die Vollstreckung aufgebraucht wird, weil dies als mögliche Konsequenz der Vollstreckung hingenommen werden muss. Rechtsschutz bieten insoweit die Pfändungsschutzvorschriften der ZPO.
Normenkette
AO § 258; EUBeitrG § 14 Abs. 1; FGO § 114 Abs. 1 S. 2; AO § 257
Nachgehend
Tatbestand
I.
Der Antragsteller war von 1997 bis zum 30.06.2001 (alleiniger) Geschäftsführer der E1 (E1) in Griechenland, einer 100%-igen Tochtergesellschaft der E in L. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 30.09.2001 beendet. Im Jahr 2002 führten die griechischen Finanzbehörden bei der E1 für die Jahre 1993 bis 2000 eine steuerliche Betriebsprüfung durch, die zu Steuernachforderungen in Höhe von rund … € führte. Die E1 wurde daraufhin in die „E2” umfirmiert und ging in Insolvenz.
Mit Schreiben vom 28.01.2013 erhielt der Antragsteller eine Zahlungsaufforderung durch das Finanzamt …, wonach er der sog. „Operational Recovery Unit” in Athen einen Betrag in Höhe von insgesamt … € schulde. Der Betrag setzte sich zusammen aus Umsatzsteuerschulden für den Zeitraum 01.01.2000 bis 31.12.2000 i.H.v. …€ sowie hierauf angefallene Zinsen i.H.v. … €. Als Rechtsgrundlage war auf die EU-Beitreibungsrichtlinie verwiesen. Dem Schreiben beigefügt war ein einheitlicher Vollstreckungstitel vom 25.01.2013. Darin war als Datum der Festsetzung der Forderung der 14.05.2008 und als Datum, ab dem die Vollstreckung möglich sei, der 01.07.2008 angegeben. Als Datum der Zustellung des ursprünglichen Vollstreckungstitels war der 16.05.2008 aufgeführt. Ferner war festgehalten, dass der Antragsteller als „Mitschuldner” in Anspruch genommen werde. Er sei Geschäftsführer der Hauptschuldnerin gewesen.
Nach dem Vorbringen des Antragstellers will dieser erstmals durch den einheitlichen Vollstreckungstitel von der vermeintlichen Haftungsschuld Kenntnis erlangt haben. Ihm soll von den griechischen Finanzbehörden weder der entsprechende Umsatzsteuerbescheid gegenüber der E1 für das Jahr 2000 noch ein entsprechender Haftungsbescheid bekannt gegeben worden sein. Dementsprechend beantragte er beim Finanzamt … die Einstellung der Beitreibungsmaßnahmen sowie die Ablehnung der Amtshilfe nach Maßgabe des § 14 Abs. 2 des EU-Beitreibungsgesetzes (EUBeitrG) wegen Verjährung bzw. wegen Unbilligkeit nach § 14 Abs. 1 EUBeitrG. Das Finanzamt … leitete die Eingabe des Antragstellers daraufhin an die zuständigen griechischen Finanzbehörden weiter und stellte das Verfahren mit Schreiben vom 05.03.2013 bis zur Rückantwort der griechischen Behörden ruhend. Mit Schreiben vom 11.05.2016 kündigte das Finanzamt … sodann an, das Vollstreckungsverfahren wieder aufzunehmen. Daraufhin nahm der Antragsteller mit Schreiben vom 20.06.2016 gegenüber dem Finanzamt … noch einmal ausführlich Stellung, worauf das Finanzamt … das Beitreibungsverfahren zunächst weiterhin ruhend stellte. In der Folge teilte das Finanzamt … dem Antragsteller mit Schreiben vom 24.01.2017 mit, es habe von den griechischen Finanzbehörden die Antwort erhalten, dass er für den Umsatzsteuerbescheid gegen die E1 betreffend den Zeitraum 01.01.2000 bis 31.12.2000 nach den griechischen Rechtsvorschriften gesamtschuldnerisch hafte und der entsprechende Umsatzsteuerbescheid am 23.04.2003 der E1 über den Angestellten D zugestellt worden sei. Dementsprechend hätte ihn das Unternehmen unterrichten müssen. Im Übrigen habe der Antragsteller Herrn D seit dem 08.04.2002 zu seinem Steuervertreter bestellt. Die Bekanntgabe der drohenden strafrechtlichen Verfolgung sei ihm am 27.10.2003 an die Anschrift „…” gesandt worden. Rechtsmittel gegen den Vollstreckungstitel oder ander...