Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der Erfassung von Umsatzsteuerschulden als Masseverbindlichkeiten
Leitsatz (redaktionell)
1. In den Fällen, in denen der Insolvenzverwalter die Freigabe der selbständigen Tätigkeit erklärt - § 35 Abs. 2 InsO n.F. bzw. vor dessen Geltung die Tätigkeit des Schuldners lediglich duldet, fallen die daraus resultierenden Einnahmen nicht in die Insolvenzmasse, so dass auch die aus dieser Tätigkeit herrührenden Steuerschulden keine Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO a.F. darstellen.
2. Gleichfalls werden keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO a.F. begründet, wenn der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausübt und die entsprechenden Erträge für sich vereinnahmt und diese tatsächlich nicht zur Masse gelangen.
Normenkette
InsO § 35 Abs. 2, § 55 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Umsatzsteuerschulden des Insolvenzschuldners Masseverbindlichkeiten darstellen.
Der Insolvenzschuldner, Herr A, ist von Beruf … und ist seit 1980 selbständig tätig. Über sein Vermögen wurde durch Beschluss vom ….03.2005 durch das Amtsgericht B das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt (Az.: 1).
Die Gläubigerversammlung beschloss am ….05.2005, dass das Unternehmen fortgeführt und Unterhalt im Rahmen der Pfändungsfreigrenzen gewährt werden solle (s. Bl. 65 d. InsO-Akte). In der Folgezeit führte Herr A sein Büro mit Zustimmung des Klägers fort (s. Mitteilung des Klägers an das Insolvenzgericht vom 21.11.2005, Bl. 77 d. InsO-Akte). Die Einnahmen aus der freiberuflichen Tätigkeit flossen auf das vom Kläger eingerichtete Insolvenzanderkonto bei der F-Bank in M. Am ….01.2012 wurde Herrn A antragsgemäß durch das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung erteilt. Die Dauer der Laufzeit der Abtretungsfrist war zuvor bereits am ….03.2011 abgelaufen. Der Schlussbericht ist noch nicht erstellt und daher das Insolvenzverfahren auch noch nicht beendet.
Mit Schreiben vom 07.11.2013 teilte der Kläger dem Insolvenzgericht mit, dass gegen Herrn A ein Steuerstrafermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, da dieser in den Jahren 2008 bis 2011 Einnahmen in Höhe von insgesamt 116.452,62 € hinterzogen habe. Das Strafverfahren sei gegen Zahlung einer Geldbuße nach § 153a StPO eingestellt worden. Diese Einnahmen habe Herr A auch nicht zur Masse geleistet, sondern auf dem Konto seiner Ehefrau vereinnahmt. Eine Zahlungsaufforderung an Herrn A sei nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses erfolglos verlaufen. Die Auftraggeberin des Insolvenzschuldners, die Firma P GmbH, habe nach einem Vergleich im Zivilprozess letztlich in den Jahren 2015 und 2016 für Leistungen des Insolvenzschuldners für den Zeitraum Dezember 2008 bis 2011 75.000 € an den Kläger als Insolvenzverwalter für Herrn A geleistet (s. Rechnungslegung vom 09.05.2016, Bl. 304 ff. der Insolvenzakte).
Die Umsatzsteuererklärungen 2009 bis 2011 reichte der Kläger wie folgt beim Beklagten ein:
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Datum |
Umsätze |
Vorsteuern |
verbleibende USt |
2009 |
22.12.2011 |
48.885 € |
0 € |
9.288,15 € |
2010 |
22.12.2011 |
31.676 € |
0 € |
6.018,44 € |
2011 |
29.06.2012 |
30.853 € |
56,81 € |
5.805,26 € |
Der Beklagte änderte die Umsatzsteuerfestsetzungen 2009 bis 2011 jeweils nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO – mit Bescheiden vom 01.12.2015 und setzte die Umsatzsteuern wie folgt fest:
|
Umsatz |
Vorsteuern |
festgesetzte USt |
2009 |
90.837 € |
516,50 € |
16.742,53 € |
2010 |
60.282 € |
587,71 € |
10.865,87 € |
2011 |
67.627 € |
905,19 € |
11.943,94 € |
In den Anlagen zu den Bescheiden erläuterte der Beklagte, dass die festgesetzten Umsatzsteuerschulden in vollem Umfang der Insolvenzmasse zuzuordnen seien, da der Kläger die selbständige Tätigkeit des Herrn A erlaubt habe. Eine Freigabe der Tätigkeit sei nicht erfolgt. Es sei irrelevant, ob tatsächlich Einnahmen zur Masse geflossen seien. Eine Aufteilung auf Insolvenzmasse und Schuldner komme nicht in Betracht, so dass die durch die Verwaltung der Insolvenzmasse entstandenen Steuern insgesamt als Masseschulden zu qualifizieren seien. Der Beklagte nahm zur weiteren Begründung Bezug auf das Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 16.04.2015 (III R 21/11, BFH/NV 2015, 1638).
Die hiergegen eingelegten Einsprüche wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15.06.2016 als unbegründet zurück. Unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 16.04.2015 (III R 21/11, BFH/NV 2015, 1638) ist der Beklagte der Ansicht, dass durch die Erlaubnis des Klägers zur Fortführung der selbständigen Tätigkeit sämtliche durch diese Tätigkeit entstanden Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten darstellen würden. Eine Aufteilung der Verbindlichkeiten komme nicht in Betracht. Dabei sei es unerheblich, ob die Einnahmen zur Masse gelangt seien.
Mit seiner am 13.07.2016 erhoben Klage verfolgt der Kläger sein Begehren aus dem Verwaltungsverfahren weiter. Seiner Ansicht nach sei die Entscheidung des BFH vom 16.04.2015 (III R 21/11, BFH/NV 2015, 1638) im Streitfall nicht einschlägig, da in dem dort ...