Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss des Kindergeldanspruchs durch europäisches Gemeinschaftsrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Ein in Polen sozialversicherungspflichtiger, von seinem polnischen Arbeitgeber nach Deutschland entsandter Arbeitnehmer, für den Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) der VO (EWG) Nr. 1408/71 Anwendung findet, hat für sein in Polen lebendes Kinder keinen Anspruch auf Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG.

2) Ein in diesem Fall nach §§ 62 ff. EStG unterstellter Anspruch auf Kindergeld wird durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen.

 

Normenkette

VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 13 ff., Art. 73; EStG § 62

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 21.02.2014; Aktenzeichen III R 91/10)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt für sein in Polen lebendes Kind T, geb. 00.00.1992, Kindergeld. Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und arbeitete in der Zeit vom 6.6.2006 bis 28.2.2007 im Auftrag seines polnischen Arbeitgebers in Deutschland. Er war abhängig beschäftigt und in Polen sozialversicherungspflichtig. Mit Bescheid vom 12.9.2007 lehnte die Beklagte seinen Antrag auf Kindergeld ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 24.10.2007 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger beim beschließenden Senat Klage.

Zur Begründung trägt der Kläger nunmehr vor, dass zwar im vorliegenden Fall die VO Nr. 1408/71 grundsätzlich Anwendung finde. Im Rahmen dieser Verordnung seien jedoch nicht Art. 13 ff. der VO anwendbar, sondern die der Art. 73 ff. Der alleinige Zweck der VO Nr. 1408/71 und der hierauf ergangenen Durchführungsverordnung DVO 574/72, „nämlich die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu erleichtern, würde unterlaufen, wenn ein Wanderarbeiternehmer und sein Arbeitgeber gezwungen werden könnten, in zwei Mitgliedstaaten Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen” (EuGH, Rs. A.A. Ten Holder, S. 1824). Danach bezwecke die VO 1408/71 die Erleichterung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dadurch, indem sie den Erlass mitgliedschaftlicher Vorschriften zum Zwecke der Abschottung ihrer Arbeitsmärkte verbiete. Sie solle aber gerade nicht die mit der Freizügigkeit verbundenen Vorteile für die jeweiligen Arbeitnehmer, welche in den jeweiligen Mitgliedstaaten für diese gewährt werden, verhindern. Die „Kollisionsregeln” der Art. 13 ff. der VO stellen ein geschlossenes System dar, welches den einzelnen Mitgliedstaaten verbieten, die Freizügigkeit der (Wander-) Arbeitnehmer durch Schaffung einzelner mitgliedsstaatlicher Vorschriften zu behindern. Im vorliegenden Fall gehe es aber nicht um Sozialleistungen für den einzelnen Arbeitnehmer; vielmehr seien allein Fragen hinsichtlich der Gewährung von Familienleistungen maßgeblich. Das vom Kläger begehrte deutsche Kindergeld sei als Familienleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 h der VO anzusehen. Die Frage, inwieweit etwaige Kollisionen dieser Leistungen in einzelnen Mitgliedstaaten zu regeln seien, bestimme sich jedoch nicht nach den Art. 13f des Titels II der VO Nr. 1408/71, sondern expressis verbis nach dem Titel II „Besondere Vorschriften für die einzelnen Leistungsarten” und hier Kapitel 7 der vorgenannten Verordnung: Familienleistungen und Beihilfen für Arbeitnehmer und Arbeitslose. Hierfür spreche zunächst die VO-Systematik, wonach besondere Vorschriften den allgemeinen Vorschriften vorgingen. Zum anderen ermögliche ein solcher Aufbau dem Verordnungsgeber die Möglichkeit, für jede einzelne von der VO 1408/71 zu erfassende soziale Leistung spezielle Regelungen zu treffen. Von dieser speziellen Regelungsmöglichkeit aufgrund der Rechtsnorm-Systematik habe der EU-Verordnungsgeber mit den in Titel III enthaltenen Regelungen ausdrücklich Gebrauch gemacht. Das FG Hamburg habe in seinem Urteil vom 20.4.2004 (III 425/02) ausgeführt, dass die Vorschriften der Art. 72 ff. der VO mit deren Kapitel 7 als Spezialregelungen den §§ 62 ff. EStG vorgehen würden, weil zu den Familienleistungen das Kindergeld gehöre. Soweit der BFH in seiner Entscheidung vom 13.8.2002 rechtsfehlerhaft die Artikel des Titels II der VO Nr. 1408/71 angewandt habe, habe er dies nunmehr in seinem Beschluss vom 24.9.2007 richtiggestellt: „Nach Art. 73 VO Nr. 1408/71 hat ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat arbeitet, für seine Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates, als ob die Familienangehörigen im Gebiet des Beschäftigungsstaates wohnen (III S 14/07). Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeute dies, dass der Kläger, der in Deutschland tätig gewesen sei, für seine in Polen wohnenden Familienangehörigen (Kinder) Anspruch auf Familienleistungen nach den deutschen Rechtsvorschriften, mithin §§ 62 ff. EStG, habe. Etwaige Kumulierungen zwischen einzelnen Mitgliedstaaten würden in Art. 76 der VO abschließend geregelt. Der BFH habe in seiner Entscheidung vom 24.9.2007 dazu Folgendes ausgeführt:

„Art. 76 Nr. 1408/71 regelt die Konkurrenzfälle, in denen Familienleistungen im Wohnland der Kinder aufgrun...

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