Entscheidungsstichwort (Thema)

Kapitalabfindung von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Kapitalabfindung von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen ist nicht atypisch, mithin auch nicht außergewöhnlich, so dass der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG keine Anwendung findet.

 

Normenkette

EStG § 93 Abs. 3, §§ 81, 34

 

Tatbestand

Die Klägerin hatte gegen die Besteuerung einer Kapitalabfindung i.H.v. insgesamt 8.929,85 € (8.877,97 € + 51,88 €) aus einer Kleinbetragsrente (§ 93 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes –EStG–) beim Finanzgericht (FG) Köln unter Aktenzeichen 5 K 3136/16 Klage erhoben.

Die Besteuerung hatte dazu geführt, dass für die Klägerin, die im Übrigen im Streitjahr nur Einnahmen aus einer Rente i.H.v. 14.215 € bezog, Einkommensteuer i.H.v. 2.744 € festgesetzt worden war.

Durch Urteil des 5. Senats des FG Köln unter 5 K 3136/16 vom 04.07.2017 wurde die Klage abgewiesen.

Auf die Revision der Klägerin hob der Bundesfinanzhof (BFH) unter Aktenzeichen X R 39/17 durch Urteil vom 06.11.2019 das Urteil des FG Köln vom 04.07.2017 auf und verwies die Sache an das Gericht zurück. Der BFH bestätigte zwar das FG Köln dahingehend, dass die Kapitalabfindung dem Grunde nach gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG einkommensteuerpflichtig sei. Das FG müsse jedoch tatsächliche Feststellungen zu den besonderen Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG für eine ermäßigte Besteuerung nachholen. Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG sei bei Altersvorsorgeverträgen auch die frühere Leistung von Beiträgen. Entscheidend für die Anwendung dieser Vorschrift sei aber die Außerordentlichkeit der Einkünfte, hier der Kapitalabfindung, welche vom FG festzustellen sei.

Unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 11.06.2019 X R 7/18, wodurch das Urteil des FG Berlin-Brandenburg 7 K 7032/16 aufgehoben und die Sache an dieses zurück verwiesen worden war, wurde dem FG Köln aufgegeben festzustellen, ob die Kapitalisierung laufender Rentenansprüche im Bereich der Altersvorsorgeverträge (§§ 82 ff EStG) als atypisch anzusehen sei. Zur Feststellung dessen seien Anfragen bei Organisationen einzuholen, die über entsprechendes statistisches Material verfügten, wie zum Beispiel die Zentrale Stelle im Sinne des § 81 EStG (Deutsche Rentenversicherung Bund), Verbraucherschutzorganisationen sowie Verbände der Anbieter.

Im zweiten Rechtsgang bat der 5. Senat des FG Köln diverse Organisationen (Deutsche Rentenversicherung Bund, Verbraucherzentrale Bundesverband, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) um Auskunft zwecks Beantwortung der Frage, ob es sich bei Kleinbetragsrenten im Sinne des § 93 Abs. 3 EStG um atypische Einzelfälle handele und ob es bei Erfüllung der Voraussetzungen dieser Vorschrift nur in atypischen Einzelfällen zur Wahl der Kapitalabfindung komme.

Da die dem FG Köln gegebenen Auskünfte unergiebig waren – alle angeschriebenen Organisationen teilten mit, dass sie über die Zahl der Altersvorsorgeverträge keine Informationen oder Statistiken verfügten –, wandte sich das Gericht an das (vom BFH in Bezug genommene) FG Berlin-Brandenburg. Das FG Berlin-Brandenburg, dessen Urteil 7 K 7032/16 vom BFH drei Monate früher als das des FG Köln 5 K 3136/16 aufgehoben worden war, hatte bereits diverse „Organisationen” angeschrieben, um den Vorgaben des BFH-Urteils vom 11.06.2019 nachzukommen. Die Auskünfte hierzu stellte das FG Berlin-Brandenburg dem FG Köln in neutralisierter Form zur Verfügung. – Wegen des Inhaltes der Auskunft durch das FG Berlin-Brandenburg vom 25.05.2020 im Einzelnen wird auf dieses Schreiben verwiesen. Zahlenmaterial hatten nur die sogenannten Anbieter 2-5 geliefert.

Anbieter 2 hatte ausgeführt: Im Zeitraum 01.05.2005 bis 31.12.2017 kam es bei 20.872 Riesterkunden von insgesamt 26.439 Altersvorsorgeverträgen zur vollständigen oder teilweisen Auszahlung.

Die Auskunft von Anbieter 3 lautete: Von 162.997 Verträgen wurden 46.855 vorzeitige Abgänge (=schädliche Verwendung) registriert, bei einer anderen Gesellschaft des Konzerns von 64.261 Verträgen 24.357 Abgänge, bei einer weiteren Gesellschaft von 461 Verträgen 45 Abgänge. Für den Zeitraum 2014-2019 für die erstgenannte Gesellschaft erfolgten von 3.488 Abläufen 324 mit Rentenzahlungen, 362 mit Teilauszahlung und 2.802 mit Kapitalabfindung.

Anbieter 4 hatte die Auskunft erteilt: Bei insgesamt 48.097 Altersvorsorgeverträgen in der Auszahlungsphase wurden 26.808 Verträge vollständig kapitalisiert durch Abfindung, 6.753 Verträge wurden mit 30% des Kapitals förderunschädlich teilkapitalisiert, 14.536 Verträge wurden vollständig verrentet.

Anbieter 5 hatte mitgeteilt: Von 52.654 Verträgen in der Auszahlungsphase wurden 16.660 Verträge ganz kapitalisiert, 14.369 teilweise (insgesamt 31.029 wurden damit ganz oder teilweise kapitalisiert).

Den Beteiligten wurden sämtliche Auskünfte der angeschriebenen Organisationen sowie die Auskunft des FG Berlin-Brandenburg zur Kenntnis gebracht.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, es sei gerade nicht...

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