Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage des Vorliegens einer Lieferung bei dezentral verbrauchtem Strom
Leitsatz (redaktionell)
1. Strom ist grundsätzlich ein Gegenstand, der geliefert werden kann. Infolge der fehlenden Einspeisung des Stroms in das allgemeine Stromnetz werden weder Substanz, noch Wert oder Ertrag des in der KWK-Anlage erzeugten und dezentral verbrauchten Stroms vom WVV auf die Stpfl. übertragen. Die Stpfl. erhält weder auf Grund des Netzanschlusses noch auf Grund ihrer Verpflichtung zur Zahlung des Zuschlags die Befähigung, wie ein Eigentümer über den dezentral verbrauchten Strom zu verfügen.
2. Angesichts der durch den erkennenden Senat unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung des Lieferungsbegriffs kann die Auffassung der Finanzverwaltung, dass im Fall des dezentralen Stromverbrauchs – vorliegend durch die Stpfl. – eine Lieferung an den Netzbetreiber angenommen wird, keinen Bestand haben.
Normenkette
MwStSystRL Art. 14 Abs. 1; UStG § 3 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig sind die umsatzsteuerlichen Folgen im Zusammenhang mit dezentral verbrauchtem Strom aus einem Blockheizkraftwerk.
Die Klägerin, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die wegen der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens als gemeinnützig anerkannt ist, erbaute im Jahr ein Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Strom- und Wärmeerzeugung. Einen Vorsteuerabzug hieraus machte sie nicht geltend. Das BKHW war an das eigene Stromnetz der Klägerin auf ihrem Gelände (sog. Kundenanlage) angeschlossen. Die Kundenanlage wiederum war mit dem allgemeinen Stromversorgungsnetz des Stromnetzbetreibers A GmbH verbunden.
Mit Vertrag vom ….03.2010, der als Pachtvertrag überschrieben war, traf sie mit ihrer Enkelgesellschaft, der B GmbH, Regelungen über den Betrieb des BHKW (vgl. Pachtvertrag vom ….03.2010, BP-Handakte Band V, Lasche BHKW). Die Einnahmen aus diesem Vertrag i.H.v. € pro Jahr „Pachtzins”, vgl. § 6 Nr. 2 des Pachtvertrags) erfasste die Klägerin im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb „Leistungen an die B GmbH”.
Die im Jahr 2009 gegründete B GmbH hatte nach der Vereinbarung über die Übertragung des technischen und kaufmännischen Energiemanagements vom ….08.2009 und dem Energieliefervertrag (ebenfalls vom ….08.2009; vgl. BP-Handakte Band V, Lasche BHKW) die Energieversorgung für die Klägerin übernommen. Dies beinhaltete die umfassende Versorgung der Klägerin mit Strom, Fernwärme (Wärme/Kälte) sowie Gas. Die von ihr eingekaufte Energie berechnete die B GmbH der Klägerin entsprechend der Regelungen in § 5 des Energieliefervertrags in Höhe der eigenen Aufwendungen zuzüglich einer Marge. § 5 Abs. 3 enthielt darüber hinaus die Absichtserklärung, zukünftig einen wesentlichen Teil des Energiebedarfs über eigene BHKW zu decken und in der Folge die Preisabsprachen neu auszuhandeln.
Der im BHKW erzeugte Strom wurde von der Klägerin nahezu vollständig (dezentral) selbst verbraucht. Eine Einspeisung in das Netz des Stromnetzbetreibers A GmbH erfolgte unstreitig nicht. Selbst zum Zeitpunkt der geringsten Grundlast war – nach den Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung – der Strombedarf der Klägerin fast doppelt so hoch wie die durch das BHKW erzeugte Strommenge.
An die Kundenanlage der Klägerin waren wenige Dritte wie z.B. … zuzuordnende Gebäude angeschlossen. Die von diesen Dritten benötigten Strommengen waren vergleichsweise gering. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin durchgängig neben dem im BHKW erzeugten Strom zusätzlich eingekauften Strom (in nennenswertem Umfang) benötigte, wurde bei den Dritten eine Belieferung mit eingekauftem Strom zu Grunde gelegt (z.B. auch für Zwecke der Stromsteuer).
Für den dezentral verbrauchten Strom stellte die Klägerin für das Streitjahr 2010 die im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) vorgesehenen Zuschläge (§ 4 Abs. 3a KWKG i.d.F.v. 25.10.2008, nachfolgend KWKG 2009) gegenüber dem Stromnetzbetreiber A GmbH in Rechnung (382.361,13 € zzgl. 72.648,61 € UStG = 455.009,74 €, vgl. Rechnung vom 16.05.2013, Band V BP-Akte). Einen zugrunde liegenden Vertrag gab es nach den Angaben der Klägerin nicht, sondern nur ein sog. Freigabeschreiben zur Rechnungsstellung (vgl. E-Mail von Herrn M vom …2012, C Einspeiserbetreuung, Band V BP-Akte, Lasche BHKW). Sonstige Abrechnungen durch die Klägerin, die B GmbH oder den Stromnetzbetreiber erfolgten nicht.
Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung D (BP) führte u.a. für das Streitjahr 2010 eine Betriebsprüfung durch. Hinsichtlich des im BHKW erzeugten Stroms ging die BP unter Anwendung der Grundsätze in Abschn. 2.5 UStAE von fiktiven Hin- und Rücklieferungen aus (vgl. Tz. 2.10 BP-Bericht vom 02.09.2015, Band VI BP-Akte). Nach dieser Regelung im Anwendungserlass werde zunächst eine fiktive Lieferung des Stroms vom Anlagenbetreiber an den Stromnetzbetreiber unterstellt, wobei als Bemessungsgrundlage der üblicherweise anfallende Marktpreis zzgl. der im KWKG vorgesehenen Zuschläge und ggf. der s...