Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlungspflichtverletzung bei Entlassungsentschädigungen
Leitsatz (redaktionell)
1) Verzichtet das FA auf die Vorlage der Verträge im Zusammenhang mit der Zahlung einer Entlassungsentschädigung und beschränkt sich auf den Abgleich von rechtlich falscher Eintragung auf der Lohnsteuerkarte und in der Steuererklärung als tarifbegünstigte Entschädigung, verletzt es seine Ermittlungspflicht.
2) Die Verletzung der Ermittlungspflicht steht einer späteren Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO entgegen. Eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen, die zivilrechtlichen Vereinbarungen unaufgefordert beizubringen, besteht nicht.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 88; EStG §§ 34, 24 Nr. 1a; AO 1977 § 173 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger (Kl.) sind Eheleute. Der Kl. war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Fa. … GmbH mit Sitz in … Durch notariell beurkundeten „Anteilskauf- und Übertragungsvertrag” vom 07.08.1990 veräußerte er 80 v.H. seiner Gesellschaftsanteile mit Wirkung auf den 01.09.1990. Zugleich wurde der Geschäftsführerdienstvertrag des Kl. beendet und die für seine Pensionszusage gebildete Rückstellung aufgelöst. Als Ausgleich hierfür erhielt der Kl. eine Abfindung in Höhe von ….,– DM. Die GmbH hatte die für die Pensionszusage abgeschlossene Rückdeckungsversicherung auf den Kl. übertragen, die mit dem Wert ihres Deckungskapitals per 31.08.1990 (…,– DM) auf die vorgenannte Abfindung anzurechnen war (§ 3 Abs. 4 des Vertrages).
In Anlage N ihrer am 04.03.1992 abgegebenen, ohne Mithilfe eines Vertreters der steuerberatenden Berufe erstellten gemeinsamen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr gaben die Kl. in Übereinstimmung mit der beigefügten Lohnsteuerkarte Bruttoarbeitslohn des Kl. in Höhe von ….,– DM sowie in Zeile 13 mit dem ermäßigten Steuersatz (§ 34 Abs. 2 EStG) zu besteuernde Entschädigungen in Höhe von …,– DM an. Der Beklagte (Bekl.) veranlagte die Kl. entsprechend (Einkommensteuerbescheid vom 15.04.1992). Diesen Bescheid änderte der Bekl. am 17.07.1992, wobei er einen Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG in Höhe von …,– DM berücksichtigte.
Nachdem das Finanzamt für Großbetriebsprüfung Köln I dem Bekl. mitgeteilt hatte, dass durch die Anrechnung der Rückdeckungsversicherung auf die vereinbarte Abfindung des Kl. eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe von 49.343,– DM entstanden sei, änderte der Bekl. unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid erneut, indem er die Einkünfte des Kl. aus Kapitalvermögen um den vorgenannten Betrag erhöhte (Änderungsbescheid vom 03.07.1995).
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den Änderungsbescheid hielt der Bekl. an der Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung nicht mehr fest. Nach Vorlage des „Anteilskauf- und Übertragungsvertrages” kam er jedoch zu dem Ergebnis, dass die Abfindung für die Pensionszusage zu Unrecht mit dem halben Steuersatz nach § 34 Abs. 2 EStG versteuert worden sei. Von der zunächst angedrohten Verböserung sah er im Hinblick auf die inzwischen abgelaufene Festsetzungsfrist zwar ab, wies aber den Rechtsbehelf mit Einspruchsentscheidung vom 25.05.1999 als unbegründet zurück.
Gegen diese Entscheidung haben die Kl. die vorliegende Klage erhoben. Sie vertreten die Auffassung, der angefochtene Bescheid könne nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt werden, weil der Bekl. bei der Veranlagung seine Ermittlungspflicht verletzt habe. Der Änderung wegen neuer Tatsachen stehe der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Das Finanzamt sei verpflichtet gewesen, vor der Veranlagung zu prüfen, ob der halbe Steuersatz zu Recht in Anspruch genommen worden sei und habe ggf. die für diese Prüfung erforderlichen Unterlagen anfordern müssen. Sie, die Kl., seien ihrer Erklärungspflicht in vollem Umfang nachgekommen.
Im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 34 EStG erfüllt. Die Pensionszusage sei abgelöst worden, weil der Erwerber der GmbH-Anteile darauf bestanden habe. Diesem rechtlichen und wirtschaftlichen Druck habe sich der Kl. nicht entziehen können.
Die Kl. beantragen sinngemäß,
den Änderungsbescheid vom 03.07.1990 aufzuheben.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bekl. meint, die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lägen vor. Auf die Verletzung der Ermittlungspflicht durch das Finanzamt könne sich ein Steuerpflichtiger nur dann berufen, wenn er selbst seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen sei. Dazu gehöre die vollständige Darstellung des Sachverhalts und die Vorlage der maßgeblichen Verträge, die der Einkommensteuererklärung der Kl. nicht beigefügt gewesen seien. Das gelte insbesondere dann, wenn es sich um einen außergewöhnlichen und rechtlich schwierigen Sachverhalt handele. Er, der Bekl., habe grundsätzlich auf die Richtigkeit der abgegebenen Steuererklärung vertrauen dürfen, zumal der Arbeitgeber die tarifbegünstigte Entschädigung als solche auf der Lohnsteuerkarte ausgewiesen habe.