Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses, offensichtliche Unrichtigkeit; Steuerbefreiung bei Umsätzen aus Glücksspiel
Leitsatz (redaktionell)
1) Der Umstand, dass eine bestandskräftig festgesetzte Steuer im Widerspruch zu einer fortentwickelten oder geänderten Rechtsprechung steht, rechtfertigt deshalb keinen Steuererlass nach § 227 AO. Ohne Bedeutung ist zudem, aus welchen Gründen ein Stpfl. die gegen ihn gerichtete Steuerfestsetzung hat bestandskräftig werden lassen.
2) Im Streitjahr 2000 war es nicht offensichtlich und eindeutig fehlerhaft, die Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielautomaten mit Geldeinsatz als steuerpflichtig zu behandeln. Zu diesem Zeitpunkt war es nicht eindeutig, dass hinsichtlich solcher Umsätze eine Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. f der RL 77/388/EWG hätte in Anspruch genommen werden können.
Normenkette
Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. f; AO § 227
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte ermessensfehlerfrei einen Antrag auf Erlass der Umsatzsteuer für die Streitjahre 1998 und 1999 abgelehnt hat.
Der Kläger erzielte in den Streitjahren als Automatenkaufmann gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb von Glücksspielautomaten mit Geldeinsatz. Die in diesem Zusammenhang erzielten Umsätze beliefen sich ausweislich der eingereichten Gewinnermittlungen im Jahr 1998 auf 594.481 DM (netto) und im Jahr 1999 auf 598.377 DM (netto). Der Kläger unterwarf diese Umsätze in den für die Streitjahre von seinem damaligen Steuerberater erstellten und am 24.1.2000 für 1998 bzw. 27.11.2000 für 1999 beim Beklagten eingereichten Umsatzsteuererklärungen der Umsatzsteuer. Der Beklagte stimmte den Umsatzsteuererklärungen am 9.2.2000 (1998) bzw. 14.12.2000 (1999) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zu, wobei die Zustimmungsmitteilungen an den Steuerberater des Klägers ergingen. Die Steuerfestsetzungen wurden in der Folgezeit bestandskräftig und die Umsatzsteuern vom Kläger entrichtet.
Mit Schreiben vom 17.3.2005 legte der Kläger erstmals gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen Einspruch ein und begehrte unter Hinweis auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Linneweber/Akritidis” (C-453/02; C-462/02, Slg 2005, I-1131, HFR 2005, 487) und „Emmott” (C-208/90, Slg. 1991, I-4269, HFR 1993, 137) die Herabsetzung der Umsatzsteuer auf 0 Euro. Zusätzlich beantragte er die Änderung der Steuerfestsetzungen nach § 164 Abs. 2 AO und § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO und begehrte unter Bezugnahme auf das in der Sache „Kühne & Heitz” (C-453/00, Slg. 2004, I-837, HFR 2004, 488) ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs den Erlass der Umsatzsteuer nach §§ 163, 227 AO. Der Beklagte lehnte diese Anträge ab. Über die hiergegen erhobenen Einsprüche ist bisher nicht entschieden worden; die gegen die Steuerfestsetzungen gerichteten Einsprüche ruhen.
Mit Schreiben vom 27.3.2006 beantragte der Kläger beim Beklagten erneut den Erlass der Umsatzsteuern für die Streitjahre aus sachlichen Billigkeitsgründen. Der Beklagte lehnte diesen Antrag ab und wies den hiergegen eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 28.6.2007 zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Voraussetzungen für einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht gegeben seien. Die Steuerfestsetzungen seien seinerzeit nicht offensichtlich und eindeutig fehlerhaft gewesen. Sie hätten der damaligen herrschenden Rechtsansicht entsprochen. Insbesondere sei im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung nicht offensichtlich und eindeutig erkennbar gewesen, dass der Kläger hinsichtlich der Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielautomaten mit Geldeinsatz eine Steuerbefreiung nach Artikel 13 B. Buchstabe f) der 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr: Art. 135 Titel IX Kapitel 3 [1] Buchstabe i der Richtlinie 2006/112/EG) hätte in Anspruch nehmen können. Die Voraussetzungen dieser Steuerbefreiung seien vielmehr bis zu den Entscheidungen des EuGH in den Sachen „Karlheinz Fischer” (C-283/95, Slg. 1998, I-3369, HFR 1998, 777) und „Linneweber/Akritidis” (C-453/02; C-462/03) nicht eindeutig geklärt gewesen. Der auch nach der Entscheidung in der Sache „Karlheinz Fischer” fortbestehende Klärungsbedarf sei unter anderem in den im Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs an den EuGH vom 6.11.2002 in der Sache „Linneweber/Akritidis” formulierten Fragestellungen zum Ausdruck gekommen. Vor dem Hintergrund der bis zur Entscheidung in der Sache „Linneweber/Akritidis” unklaren Rechtslage seien die bis dahin ergangenen Steuerfestsetzungen nicht offensichtlich und eindeutig fehlerhaft. Im übrigen sei es dem Kläger zumutbar gewesen, fristgerecht Einspruch gegen die Steuerfestsetzungen für die Streitjahre einzulegen. Diesbezüglich habe der Kläger insbesondere keine Veranlassung gehabt, auf die Einlegung von Einsprüchen zu verzichten. Er könne sich nicht auf das BFH-Urteil vom 17.5.2001 (Az.: V R 77/99, BFHE 194, 552, BStBl. II 2004, 370) berufen, zumal dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe. Ein...