Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Kindergeldzahlung; Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Ein Anspruch auf Kindergeldzahlung gem. § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG besteht, wenn der Anspruchsteller als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Die Feststellungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht sind für das Kindergeldverfahren grundsätzlich bindend.

2) Ein nach § 62 EStG bestehender Kindergeldanspruch kann nicht allein durch die Mitgliedschaft in einer ausländischen Sozialversicherung ausgeschlossen werden. Hierfür fehlt es an einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage.

 

Normenkette

EStG §§ 63, 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, §§ 32, 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 18.05.2010; Aktenzeichen III R 21/09)

 

Tatbestand

Der seit 1983 verheiratete Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist in Deutschland selbständig erwerbstätig und seit dem 15.10.2004 in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (Bescheinigung des Finanzamtes L vom 16.11.2007, Bl. 26 der KiG-Akte; Bescheinigung der ausländischen polnischen Steuerbehörde, Bl. 26, 37 nach der in Polen keine Einkünfte bestehen). In Polen unterliegt er der Sozialversicherung für Landwirte (Bl. 27 der KiG-Akte). In Deutschland ist er nicht sozialversicherungspflichtig.

Er stellte am 15.1.2007 einen Antrag auf Kindergeld ab Oktober 2004 bei der zuständigen Familienkasse für seinen in Polen lebenden und am 25.4.1997 geborenen Sohn T. In Polen erhalten weder er noch seine dort lebende Frau, die nicht erwerbstätig ist, Kindergeld für den Sohn (Formulare E 411, E 401, Bl. 17ff. der KiG-Akte), da die dortigen Einkommensgrenzen für einen Kindergeldanspruch überschritten sind (s. Vermerk Bl. 19 der KiG-Akte). Die Formulare E 411 und E 401 sind von der polnischen Behörde am 30.5.2007 ausgestellt.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kindergeld mit Bescheid vom 28.2.2008 ab. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 14.5.2008 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit der Klage verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Kindergeld ab Oktober 2004 weiter. Seiner Ansicht nach sei der Anspruch in Deutschland gegeben, da der Kläger hier erwerbstätig sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.2.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 14.5.2008 zu verpflichten, Kindergeld für den Sohn T in gesetzlicher Höhe ab Oktober 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zwar seien grundsätzlich die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG erfüllt. Ob deutsches Kindergeldrecht jedoch überhaupt anwendbar sei, bestimme sich im Verhältnis zu anderen Staaten der EU nach den Regelungen der Verordnung (EWG) 1408/71 bzw. der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) 574/72 (DVO). Diese Verordnungen würden als überstaatliche Vorschriften der deutschen Rechtsordnung vorgehen und seien in Deutschland unmittelbar geltendes Recht (vgl. Art. 249 Abs. 2 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft).

Der Kläger unterliege weiterhin in Polen der Sozialversicherung. Dies ergebe sich aus der entsprechenden Bestätigung der polnischen Sozialversicherungsbehörde (Bl. 27 der KiG-Akte) und den Angaben des Klägers. Danach werde eine landwirtschaftliche Sozialversicherung durchgeführt. Daher gelte im Streitfall polnisches Recht. Die Frage, ob im vorliegenden Fall polnisches oder deutsches Recht anwendbar sei, ergebe sich zwar nicht aus einer bestimmten Vorschrift der EGVO 1408/71. Die vertretene Rechtsansicht gebe die Lesart der VO seitens der Familienkasse Direktion wieder. Die Art. 13 bis 17 VO sollen verhindern, dass eine Person gleichzeitig den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten unterliege und deshalb mehrfach Leistungen gleicher Zweckbestimmungen beziehe. Eine entsprechende Prüfung der Kollisionsnormen erübrige sich aber, wenn eine Bestätigung eines anderen Mitgliedstaates vorliege, wonach die betreffende Person auf Grund einer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit dort in das soziale Sicherungssystem integriert sei und Beiträge zahle. In diesen Fällen werde unterstellt, dass der Träger des anderen Mitgliedstaates die Art. 13 bis 17 VO geprüft habe und die betreffende Person den Rechtsvorschriften dieses anderen Mitgliedstaates unterliege.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist teilweise begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn T gemäß §§ 62, 63, 32 EStG für die Zeit Oktober 2004 bis Mai 2007. Für den Zeitraum ab Juni 2007 ist die Klage begründet, soweit die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld mit der Begründung, deutsches Recht sei nicht anwendbar, abgelehnt hat. Insoweit ist der angefochtene Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung). Hinsichtlich des weiter gehenden Verpflichtungsbegehrens, Kindergeld für den Kläger auch ab Juni 2007 festzusetzen, ist die Klage unbegrün...

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