Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 5 KStG an eine EU-Gesellschaft, deren einzige Anteilseignerin eine Drittstaatengesellschaft ist. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 42/23)
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Lichte der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV und der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV ist § 50d Abs. 3 EStG (2012) dahingehend geltungserhaltend zu reduzieren, dass dem Steuerpflichtigen der Gegenbeweis über einen mangelnden Rechtsmissbrauch eröffnet ist.
2. Ein zu Unrecht nach § 50d Abs. 3 EStG versagter Kapitalertragsteuererstattungsanspruch ist zu verzinsen. Der Anspruch, für dessen Höhe auf die allgemeinen Verzinsungsgrundsätze nach § 238 Abs. 1 AO zurückzugreifen ist, ergibt sich dem Grunde nach unmittelbar aus dem Unionsrecht.
Normenkette
AEUV Art. 49, 63; GG Art. 23; AEUV Art. 267; AO § 238 Abs. 1; KStG § 32 Abs. 5
Nachgehend
BFH (Aktenzeichen I R 64/23) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein über die bereits erfolgte Teilauszahlung hinausgehender Freistellungs- und Erstattungsanspruch zusteht und hierbei insbesondere, ob einem Anspruch § 50d Abs. 3 EStG entgegensteht.
Die Klägerin ist eine in den Niederlanden ansässige Kapitalgesellschaft. Sie wurde mit Gesellschaftsvertrag vom …2008 gegründet und hatte seitdem Sitz und Ort ihrer Geschäftsleitung in Z, Niederlande. Sie verfügte über ein Board of Directors (Geschäftsführergremium), bestehend aus Y (Directeur A), X (Directeur B) sowie der W B.V., Z (Directeur A). Weiteres Personal beschäftigte die Klägerin in den Streitjahren nicht. Seit dem … 2009 war sie an der börsennotierten V AG mit Sitz in U beteiligt. Im Streitjahr 2012 betrug die Beteiligung am Nennkapital weniger als 10 % (Reduzierung am … 2010 von zunächst 11,01 % auf 9,998 %, weitere Reduzierung auf eine Beteiligungshöhe am … 2011 auf 8,07 % und im Jahr 2012 auf 1,05 %).
Alleinige Anteilseignerin der Klägerin war die börsennotierte K (K) mit Sitz in T, Russland. Gesellschafter der K waren die K1 SE mit Sitz in Q, Zypern (zu 86,3 % 2012) und die K2 Ltd. mit Sitz in H, British Virgin Islands (zu 13,7 % 2012).
Die K Gruppe war nach dem Vortrag der Klägerin der größte Produzent von … in Russland und zudem im Bereich des … tätig. Die K als Obergesellschaft der Gruppe verfügte über einen eingerichteten operativen Geschäftsbetrieb mit Telefon und Faxanschlüssen sowie einer Homepage (www….) und beschäftigte im Jahr 2011 durchschnittlich … Mitarbeiter und im Geschäftsjahr 2012 durchschnittlich … Mitarbeiter.
Auf Gewinnausschüttungen der V AG an die Klägerin für das Jahr 2011 i.H.v. … €, zugeflossen am … 2012, wurde Kapitalertragsteuer i.H.v. 25 % zzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag einbehalten und abgeführt (… €).
Im Rahmen des Erstattungsverfahrens gemäß § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. dem DBA Deutschland-Niederlande erfolgte mit Freistellungsbescheid vom 4. Juli 2013 eine Teilentlastung bis zu einem Reststeuersatz von 15 % und die Erstattung des gesamten Solidaritätszuschlags (Erstattung insgesamt i.H.v. … €).
Mit Antrag vom 24. Juni 2013, eingegangen beim Beklagten am 25. Juni 2013, begehrte die Klägerin die Erteilung eines weiteren Freistellungsbescheids und die Erstattung der verbliebenen Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 5 KStG u.a. für das Jahr 2012. Diesen Antrag erweiterte sie mit Schreiben vom 27. Februar 2014, indem sie die beantragte Summe von 95 % der einbehaltenen und noch zu erstattenden Kapitalertragsteuer auf 100 % erhöhte.
Bereits mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 hatte sie im Hinblick auf Art. 63 AEUV unter Verweis auf die BFH-Urteile vom 11. Januar 2012 (I R 25/10 und I R 30/10) eine Kapitalertragsteuererstattung beim Finanzamt P (sowie mittels Kopie auch beim Finanzamt U) u.a. für das Jahr 2011 beantragt (vgl. Bl. 4 ff. Verwaltungsakte …1). Eine Entscheidung hierüber erfolgte nicht (vgl. Antragsschreiben der Klägerin zu § 32 Abs. 5 KStG vom 24. Juni 2013, Bl. 1 ff. Verwaltungsakte …1), so dass sie diesen Antrag unter Verweis auf den zwischenzeitlich eingeführten § 5 Abs. 1 Nr. 39 FVG dem Übersendungsschreiben vom 24. Juni 2013 an den Beklagten beifügte (vgl. Bl. 1 ff. Verwaltungsakte …1).
Mit Bescheid vom 27. August 2015 lehnte der Beklagte den Antrag gemäß § 32 Abs. 5 KStG mit der Begründung ab, dass die persönliche Entlastungsberechtigung nicht gegeben sei, da die an der Klägerin unmittelbar und mittelbar beteiligten Anteilseigner die Voraussetzungen des § 32 Abs. 5 KStG nicht erfüllten. Beim Abstellen auf die mittelbar beteiligten Gesellschafter im Rahmen der Missbrauchsprüfung nach § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 KStG i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG müssten diese ebenfalls die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 5 KStG erfüllen.
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 1. Juni 2017 als unbegründet zurück. Die persönlichen Entlastungsvoraussetzungen gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 KStG sowie die sachlichen Entlastungsvoraussetzungen gemäß § 32 Ab...