rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Inhaltliche Bestimmtheit eines Abrechnungsbescheids
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Beseitigung des Scheins der Rechtswidrigkeit kann auch ein nichtiger und unwirksamer Verwaltungsakt durch das Finanzgericht ausdrücklich aufgehoben werden.
2. Das Erfordernis der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit gilt für den Tenor des Verwaltungsakts.
3. Wird zurückgefordertes Kindergeld bei Fälligkeit nicht gezahlt, sind die Säumniszuschläge nicht von der Summe des zurückgeforderten Kindergeldes, sondern nur von der Rückforderung des Kindergeldes für die einzelnen Monate des Streitzeitraums zu berechnen.
4. Wenn Säumniszuschläge in einem Abrechnungsbescheid vom Gesamtbetrag der Steuerforderungen berechnet werden, fehlt dem Bescheid die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit.
Normenkette
AO § 218 Abs. 2 S. 1, § 240 Abs. 1 S. 2, § 119 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit (§ 119 Abs. 1 AO) eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge, die die Beklagte ausgehend von der Summe von zurückzuzahlendem Kindergeld für 18 Monate geltend macht.
Die Familienkasse NRW West gewährte der Klägerin antragsgemäß für ihren am ….1984 geborenen Sohn Z, der körperlich behindert ist, für die Monate Januar 2013 bis Juni 2014 (Streitzeitraum) Kindergeld nach dem EStG in Höhe von jeweils 184 €. Durch Bescheid vom 12.12.2014 hob diese Familienkasse gegenüber der Klägerin die bisherige Kindergeldfestsetzung rückwirkend für den Streitzeitraum mit der Begründung auf, dass der Sohn nicht wegen der körperlichen Behinderung außerstande gewesen sei, sich selbst zu unterhalten (§ 70 Abs. 2 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG). Zugleich verlangte sie von der Klägerin unter der Überschrift „Rückforderung”, das aufgrund der Aufhebung für den Streitzeitraum überzahlte Kindergeld in Höhe von zusammen 3.312 € nach § 37 Abs. 2 AO zu erstatten. Die Klägerin sollte den Betrag bis zum 15.1.2015 auf ein näher bezeichnetes Bankkonto der Bundesagentur für Arbeit überweisen. Durch weiteren Bescheid vom 12.12.2014 lehnte die Familienkasse NRW West ferner den Antrag der Klägerin ab, für ihren Sohn Kindergeld für die Monate Juli bis September 2014 festzusetzen. Die Klägerin legte gegen beide Bescheide Einspruch ein und zahlte zunächst kein Kindergeld zurück.
Am 25.3.2015 schrieb die Agentur für Arbeit B als Inkasso-Service der Bundesagentur der Klägerin eine Mahnung, mit der neben den seit dem 15.1.2015 fälligen 3.312 € aus dem Bescheid vom 12.12.2014 für den Zeitraum 16.1.2015 bis 24.3.2015 ein Säumniszuschlag in Höhe 33 € für jeden angefangenen Monat, zusammen 99 €, gefordert wurden. Nach einem Telefonat mit der Klägerin erklärte sich der Inkasso-Service in einer schriftlichen Ratenzahlungsvereinbarung vom 2.4.2015 einverstanden, dass zur Tilgung der Forderung monatliche Raten von 250 € beginnend ab dem 20.4.2015 geleistet werden. Diese Entscheidung sei keine Stundung im Sinne des § 222 AO, die Forderung bleibe fällig und durchsetzbar und Säumniszuschläge würden weiterhin anfallen. Die Klägerin überwies darauf insgesamt 552 € (jeweils 250 € am 20.4.2015 und am 20.5.2015 sowie 52 € am 20.6.2015), danach zahlte sie nichts mehr. In der Folgezeit erteilte ihr der Inkasso-Service weitere Mahnungen (16.7.2015, 24.8.2015, 15.9.2015, 5.1.2016 und 10.6.2016) wegen des Restbetrags des zurückgeforderten Kindergelds von 2.760 € (3.312 € ./. 552 €) zuzüglich eines Säumniszuschlags von 27,50 € pro Monat. Für die elf (angefangenen) Säumnismonate Juli 2015 bis Juni 2016 ergab dies zusammen weitere Säumniszuschläge in Höhe von 302,50 €.
Am 29.9.2015 wies die Familienkasse NRW West die Einsprüche der Klägerin gegen die beiden Bescheide vom 12.12.2014 als unbegründet zurück. Darauf erhob die Klägerin beim FG Köln wegen des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids (14 K 2907/15) und des Ablehnungsbescheids (14 K 2908/15) Klage. Den von ihr noch im Einspruchsverfahren gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides lehnte die Familienkasse NRW West am 2.11.2015 ab. Die Klage 14 K 2907/15 nahm die Klägerin nach einem Hinweis des Gerichts wegen des Kindergeldes Januar 2013 bis Juli 2013 zurück, worauf dieser Teil des Klageverfahrens abgetrennt und eingestellt wurde. Nach einem Gutachten des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur zu der materiell streitigen Frage, ob der Sohn der Klägerin wegen der körperlichen Behinderung außerstande war, sich selbst zu unterhalten, half die Familienkasse NRW West im Übrigen den beiden Klagen ab. Durch Bescheid vom 1.6.2017 änderte sie mit Hinweis auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO die beiden Bescheide vom 12.12.2014 in der Fassung der Einspruchsentscheidungen vom 29.9.2015. Darin heißt es: „Kindergeld […] wurde für die Zeit August 2013 bis Juni 2014 in Höhe von insgesamt 2.024 € (11 × 184 €) zu Recht gezahlt und ist in dieser Höhe […] nicht zu erstatten.” Das beantragte Kindergeld Juli bis September 2014 setzte die Famili...