Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme der Prüfungsentscheidung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Ablehnung der Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheides ist in der Regel nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen, wenn der Betroffene in der Lage war, die Gründe, die nach seiner Auffassung eine Rücknahme rechtfertigen, bei fristgerechter Einlegung des statthaften Rechtsmittels vorzubringen. Mit dieser Begründung kann eine Rücknahme nur dann nicht abgelehnt werden, wenn vom Steuerpflichtigen die Anstrengung eines Rechtsbehelfsverfahrens unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles billigerweise nicht erwartet werden konnte.

 

Normenkette

AO 1977 § 130 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Prüfungsentscheidung nach § 130 Abs. 1 AO zurückzunehmen ist.

Der 19.. geborene Kläger ist als Volljurist und Beamter auf Lebenszeit … tätig. Abgesehen von einer Erkrankung vom 18.02.2000 bis 03.03.2000 sowie einem Urlaub am 10.03.2000 und vom 23.03. bis 10.04.2000 war er in diesem Jahr bisher stets berufstätig.

Der Kläger nahm an der Steuerberaterprüfung 1999 teil. Zur mündlichen Prüfung am 10.03.2000 wurden er und die übrigen Kandidaten im Vorbereitungsraum vor Aushändigung der Themen für den mündlichen Vortrag gefragt, ob sie sich gesundheitlich in der Lage fühlten, an der Prüfung teilzunehmen. Der Kläger bejahte dies. Im Anschluß an die mündliche Prüfung teilte der Vorsitzende des Prüfungsausschusses dem Kläger am 10.03.2000 mit, daß er die Prüfung mit einer Gesamtnote von 4,40 nicht bestanden habe.

Mit einem auf den 11.04.2000 datierten und an diesem Tag, einem Dienstag, bei Gericht auch eingegangenen Schreiben hat der Kläger gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 10.03.2000 Klage erhoben. In der Klageschrift wird ausgeführt, der Kläger habe angenommen, noch einen schriftlichen Bescheid zu erhalten, der die Klagefrist erst in Lauf setze. Vorsorglich beantragte der Kläger mit der Klageschrift Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der Kläger behauptet, er sei im Prüfungstermin am 10.03.2000 aufgrund einer für ihn zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbaren, akuten Prüfungsunfähigkeit nicht in der Lage gewesen, diesen wahrzunehmen, der Pfüfungskommission dies mitzuteilen und von der Prüfung zurückzutreten. Seine Prüfungsunfähigkeit zum Prüfunszeitpunkt vom 10.03.2000 sei ihm erst bewußt geworden durch entsprechende Hinweise der ihn untersuchenden Ärztin, Frau Dr. … .

Der Senat hat in dem gleichzeitig ergangenen Urteil 8 K 2638/00 die gegen den Bescheid vom 10.03.2000 erhobene Klage unter Ablehnung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen versäumter Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf dieses Urteil Bezug genommen.

Im vorliegenden Verfahren trägt der Kläger vor, die Prüfungsentscheidung vom 10.03.2000 sei wegen seiner Prüfungsunfähigkeit rechtswidrig gewesen, so daß der Bescheid gemäß § 130 Abs. 1 AO zurückzunehmen sei. Der Beklagte habe dies durch Bescheid vom 12.07.2000 zu Unrecht abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 26.07.2000 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten zur Rücknahme des Bescheids vom 10.03.2000 zu verpflichten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, eine Rücknahme des Bescheids sei nicht möglich, weil der Kläger hinreichend Gelegenheit gehabt habe, im regulären Rechtsbehelfsverfahren die Prüfungsentscheidung anzufechten. Die Rücknahme gemäß § 130 Abs. 1 AO sei nicht dazu da, versäumte Rechtsbehelfsfristen zu kompensieren. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 16.08.2000 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Beklagte hat zu Recht eine Rücknahme der Prüfungsentscheidung vom 10.03.2000 gemäß § 130 Abs. 1 AO abgelehnt. Selbst wenn zu Lasten des Beklagten angenommen würde, daß die Prüfungsentscheidung rechtswidrig war, ist die Ablehnung der Rücknahme rechtmäßig. Die Entscheidung der Behörde, ob sie einen rechtswidrigen, belastenden Verwaltungsakt zurücknimmt, steht gemäß § 130 Abs. 1 AO 1977 in ihrem Ermessen.

Die Ablehnung der Zurücknahme eines bestandkräftigen Bescheids ist in der Regel nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen, wenn der Betroffene in der Lage war, die Gründe, die nach seiner Auffassung eine Rücknahme rechtfertigen, bei fristgerechter Einlegung des statthaften Rechtsmittels vorzubringen. Mit dieser Begründung kann eine Zurücknahme oder Berichtigung nur dann nicht abgelehnt werden, wenn vom Steuerpflichtigen die Anstrengung eines Rechtsbehelfsverfahrens unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles billigerweise nicht erwartet werden konnte (vgl. BFH-Urteile vom 27. Mai 1982 VII R 30/80, BFHE 136, 433, 435; vom 9. Juli 1985 VII R 108/83, BFH/NV 1986, 441; vom 18. November 1986 VII S 16/86, BFH/NV 1987, 669; vom 26.03.1991 VII R 15/89, BStBl II 1991, 552).

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