Entscheidungsstichwort (Thema)
Societé par actions simplifiée, Mutter-Tochter-Richtlinie
Leitsatz (redaktionell)
1) Die"Societé par actions simplifiée" französischen Rechts ist bis zur Änderung der Mutter-Tochter-Richtlinie durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22.12.2003 von § 43b Abs. 2 S. 1 EStG i.V.m. Anlage 2 zu § 43b EStG nicht erfasst.
2) Die Erstattung von Kapitalertragsteuern kann in analoger Anwendung von § 8b Abs. 1 S. 1 KStG i.V.m. § 50d Abs. 1 EStG nur beim örtlich zuständigen Finanzamt beantragt werden.
Normenkette
EStG § 50d Abs. 1 S. 2; EStG Anlage 2; KStG § 8b Abs. 1 S. 1; Richtlinie 2003/123/EG; EStG § 43b
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin für eine im Jahr 2001 erfolgte Gewinnausschüttung ihrer Tochtergesellschaft die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer beanspruchen kann.
Die Klägerin ist eine in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer „société par actions simplifiée” (S.A.S.). Sie ist alleinige Anteilseignerin der A GmbH mit Sitz in Deutschland.
Aufgrund des Bescheids des Beklagten vom 8. März 2001 war die A GmbH berechtigt, den Steuerabzug für Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 5 % vorzunehmen.
Am 13. Juli 2001 schüttete die A GmbH einen Gewinn i.H.v. 4.000.000 EUR an die Klägerin aus. Von dieser Gewinnausschüttung behielt die A GmbH Kapitalertragsteuer i.H.v. 200.000 EUR (= 5 % von 4.000.000 EUR) ein und führte die Steuerabzugsbeträge an das zuständige Finanzamt ab.
Mit Antrag vom 24. Juli 2002 (Posteingangsdatum) beantragte die Klägerin die Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer gemäß § 50 d EStG i.V.m. § 44 d EStG a.F. (§ 43 b EStG n.F.) i.H.v. 200.000 EUR.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2003 lehnte der Beklagte die beantragte Erstattung ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass eine Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer nicht möglich sei, da die Klägerin keine Muttergesellschaft i.S.d. § 43 b Abs. 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung i.V.m. Art. 2 der Richtlinie des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (90/435/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – Abl. EG – Nr. L 225, 6, im Folgenden: Mutter-Tochter-Richtlinie) sei. Die Rechtsform der „société par actions simplifiée” sei in der Liste der unter Art. 2 Buchst. a) der Richtlinie 90/435/EWG fallenden Gesellschaften nicht genannt. Die Aufzählung der Rechtsformen sei abschließend.
Der hiergegen fristgemäß eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2003 als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung ihrer hiergegen fristgemäß erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass die Mutter-Tochter-Richtlinie im Lichte der primärrechtlichen Grundfreiheiten dahingehend auszulegen sei, dass auch die im Jahr 2001 nicht ausdrücklich in ihr genannte „société par actions simplifiée” von ihr erfasst werde.
Im Einvernehmen mit den Beteiligten ist das Verfahren durch gerichtlichen Beschluss vom 24. September 2008 bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-247/08 (Gaz de France) nach § 155 FGO i.V.m. § 251 ZPO zum Ruhen gebracht worden. Mit Urteil vom 1. Oktober 2009 hat der EuGH in der Rechtssache C-247/08 (Gaz de France) entschieden, dass Art. 2 Buchst. a der Mutter-Tochter-Richtlinie in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs dahin auszulegen sei, dass eine französische Gesellschaft in der Rechtsform einer „société par actions simplifiée” nicht als „Gesellschaft eines Mitgliedstaats” im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann, bevor diese durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 geändert worden sei. U.a. hat der EuGH ausgeführt, dass es für nicht von der Mutter-Tochter-Richtlinie erfasste Beteiligungen den Mitgliedstaaten obliege, festzulegen, ob und in welchem Umfang die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der ausgeschütteten Gewinne vermieden werden solle und dazu einseitig oder durch Abkommen mit anderen Mitgliedstaaten Mechanismen zur Vermeidung oder Abschwächung dieser wirtschaftlichen Doppelbelastung einzuführen. Dieser Umstand erlaube es den Mitgliedstaaten jedoch nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten verstießen.
Die Klägerin trägt hierzu vor, dass sie aufgrund der zu beachtenden Grundfreiheit der freien Niederlassung mit einer deutschen Muttergesellschaft gleichzustellen sei. Da die Bundesrepublik Deutschland dies durch die Regelung im DBA mit Frankreich nicht sichergestellt habe, könne Deutschland sich nicht auf dieses DBA berufen, sondern habe die strittige Kapitalertragsteuer zu erstatten.
Dies werde auch durch die „Aberdeen”-Entscheidung des EuGH vom 18. Juni 2009 (C-303/07, IStR 2009, 499) gestützt. Der EuGH habe in diesem Verfahren entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit den Mitgliedstaat der ansä...