Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufwendungen für die Unterbringung in einer Pflegewohngemeinschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Unterbringung eines 50-jährigen Mannes in einem Pflegeheim ist außergewöhnlich i.S. des § 33 EStG.

2. Die Unterbringung in einer Pflegewohngemeinschaft in Form einer selbstverantworteten Wohngruppe (§§ 24, 25 Wohn- und Teilhabegesetz NRW) entspricht einer klassischen Heimunterbringung, weil die Betreuungsleistungen zwar nicht in Gänze von einer einzigen Einrichtung erbracht werden, sondern der Pflegebedürftige vom ambulanten Pflegedienst versorgt, eine 24-Std.-Betreuung nebst allgemeinen Unterstützungsleistungen und Nachtwache sichergestellt sind, es eine häusliche Pflegehilfe und eine Vollversorgung gibt.

3. Die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung ist zwangsläufig, wenn deren Notwendigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nachgewiesen ist.

4. Die Kosten der Heimunterbringung sind nur insoweit als außergewöhnliche Belastung abziehbar, als sie die zumutbare Eigenbelastung und die sog. Haushaltsersparnis übersteigen.

 

Normenkette

EStDV § 64 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; HeimG § 2 Abs. 1 Nr. 2; SGB XI §§ 36, 38a; EStG § 33

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 10.08.2023; Aktenzeichen VI R 40/20)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung der Aufwendungen der Kläger im Zusammenhang mit der Unterbringung des Klägers in einer Pflegewohngemeinschaft in Form einer selbstverantworteten Wohngruppe im Sinne der §§ 24 Abs. 2, 25 Wohn- und Teilhabegesetz NRW (WTG) als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Sie haben zwei 1994 und 1996 geborene Kinder.

Die Klägerin erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger bezog neben einem Brutto-Arbeitslohn von 804 € eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie eine abgekürzte Leibrente aus einem Altersvorsorgevertrag.

Der Kläger, geboren am …1965, ist aufgrund eines Motorradunfalls, bei dem er u. a. eine Kopfverletzung erlitten hat, und eines danach zu spät entdeckten bösartigen Hirntumors, der zur Beeinträchtigung bzw. zum vollständigen Ausfall wichtiger Körperfunktionen geführt hat, seit Januar 2007 schwerbehindert. Der Schwerbehindertenausweis des Kreises G vom 04.08.2009 weist als Grad der Behinderung 100 und die Merkzeichen G (erheblich gehbehindert), B (Begleitung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nötig) und H (hilflos) aus. Er ist von der Pflegekasse seit 2017 in Pflegegrad 4 (schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit) eingestuft worden.

Der Kläger wurde zunächst von der Klägerin Zuhause versorgt. Ab 2011 lebte er in einer an das Pflegeheim in S angegliederten betreuten Wohnform und wurde von einem ambulanten Pflegedienst versorgt, während die Klägerin und die Kinder im Eigenheim der Kläger wohnen blieben. Ausweislich der Meldedaten zog der Kläger am ….2015 nach … A1, C-Straßen … (alleinige Wohnung) um. Hierbei handelt es sich um eine im Juli 2015 von Frau W eingerichtete Pflegewohngemeinschaft in einem Haus mit Garten, in der pflegebedürftige Menschen in einer kleinen Wohngemeinschaft leben und rund um die Uhr von einem ambulanten Pflegedienst und Ergänzungskräften betreut, gepflegt und hauswirtschaftlich versorgt werden (so auf den Informationsseiten der Gemeinde A1 …). Der Unterbringung liegt ein Mietvertrag „A” des Klägers, vertreten durch die Klägerin, mit den Eheleuten W zunächst in der Fassung vom 08.11.2015, dann vom 07.06.2016 zugrunde.

Der Mietvertrag vom 08.11.2015 bezieht sich auf die Anmietung eines teilmöblierten Zwei-Bett-Zimmers für 250 € monatlich einschließlich Nebenkosten zur Wohnraumnutzung im Rahmen der Pflegewohngemeinschaft durch den Kläger, vertreten durch die Klägerin. Zusätzlich wird die Mitbenutzung der Küche, Wohnzimmer, Bad/Dusche, WC, Nebenräume, Terrasse und Garten für erlaubt erklärt.

Daneben wurde mit den Eheleuten W unter dem 08.11.2015 die monatliche Überweisung von 1.150 € für die Versorgung des Klägers vereinbart. Dieser den Eheleuten W „zur freien Verfügung” gestellte Betrag sollte ausweislich der im Klageverfahren vorgelegten Bescheinigung zur Deckung folgender Kosten dienen: „Kost (ohne Sonderkost), Getränke, Telefon, Nachzahlungen Strom, Wasser, Gas, Schornsteinfeger, Grundbesitzabgaben, Wohngebäude- und Hausratversicherung, Hygieneartikel (außer Inkontinenzartikel), Putzmittel, Personalkosten und Sozialversicherungsabgaben sowie Berufsgenossenschaftsbeiträge für Nachtwachen, Haushaltshilfen, Gärtner, Hausmeister, Verwaltung, Einkaufshilfen, Rücklagen für Neuanschaffungen/Reparaturen und Finanzierung der vorhandenen Ausstattungen und Einrichtungsgegenstände”. Die Kosten wurden pauschal abgerechnet. Die Abrechnung des Taschengeldkontos sollte jährlich zum 31.12. eines Jahres erfolgen.

Die Präambel des Mietvertrages vom 07.06.2016 lautet:

„Der Vermieter ermöglicht durch die Vermietung von ...

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