Entscheidungsstichwort (Thema)
Häusliches Arbeitszimmer ist keine Betriebsstätte. Fahrten eines Schiffslotsen zwischen seiner Wohnung und dem Lotsbezirk als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Widerruf des Verzichts auf mündliche Verhandlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Räumlichkeiten, die – wie üblicherweise ein häusliches Arbeitszimmer – nur einen Teil der Wohnung oder des Wohnhauses bilden, also in den Wohnbereich und damit in die private Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden bleiben, können – ungeachtet ihrer beruflichen oder betrieblichen Nutzung – nicht als Betriebsstätte i. S. d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG qualifiziert werden.
2. Betriebsstätte eines selbstständig tätigen Schiffslotsen, dessen Tätigkeitsgebiet ein das Hafengebiet umfassender Lotsbezirk bildet, sind nicht die jeweils gelotsten Schiffe, sondern ist der Lotsbezirk. Die Fahrten zwischen seiner Wohnung und dem Lotsbezirk sind daher nicht nach Dienstreisegrundsätzen, sondern nur wie Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Betriebsausgaben abzugsfähig.
3. Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung kann nur ausnahmsweise dann widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4; AO § 12; FGO § 90 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
Unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2003 vom 24. April 2008 in Gestalt seiner Einspruchsentscheidung vom 03. Juli 2008 sind die Einkommensteuer 2003, die Zinsen zur Einkommensteuer 2003 und der Solidaritätszuschlag 2003 unter Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben in Höhe von … Euro festzusetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 90 % und der Beklagte zu 10 %.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert beträgt … EUR.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die steuerrechtliche Beurteilung von Fahrten des Klägers mit seinem PKW.von seiner Wohnung zu seinen Einsätzen als Seelotse.
Der Kläger ist seit dem 01. November 2002 als Lotse für das Seelotsrevier „W. /R. /S. „– W.– bestellt und seitdem Mitglied der Lotsenbrüderschaft W.
Er übt seine Tätigkeit nach § 21 Abs. 1 des Seelotsgesetzes – SeeLG. – als freien, nicht gewerblichen Beruf aus.
Das Seelostrevier W. umfasst nach § 2 Abs. 7 der Verordnung über die Seelotsreviere und ihre Grenzen – Allgemeine Lotsverordnung (ALV) alle Fahrstrecken zwischen dem Hafen W. und den seewärtigen Lotsenversetzpositionen, zwischen den R. Häfen und den seewärtigen Lotsenversetzpositionen, zwischen dem Hafen S., den Häfen an den Boddengewässern und der Lotsenversetzposition bei der Tonne „G. „ sowie zwischen dem Hafen S., dem Hafen S. und den Häfen an den Boddengewässern und dem Peenestrom und den Lotsenversetzpositionen bei den Tonnen „L.” und „O.”. Die geographischen Angaben sind aus der Anlage 3 zu § 2 Abs. 8 ALV (BGBl I 1995, 941) ersichtlich. Das Seelostrevier W. seinerseits ist nach § 2 Abs. 2 der Verordnung über die Verwaltung und Ordnung des Seelotsreviers W./R./S. – W. – LV – in die drei Lotsbezirke W., R. und S. gegliedert, wobei die beiden Lotsbezirke W. und R. jeweils die Fahrstrecken zwischen den Häfen dieser Städte und den jeweils dazugehörigen seewärtigen Lotsenversetzpositionen und der Lotsbezirk S. den verbleibenden Teil des Seelotsreviers umfassen. Die seewärtigen Lotsenversetzpositionen für die drei Lotsbezirke sind in § 4 WIROST-LV bestimmt. Die beiden äußeren Lotsenversetzpositionen im Lotsbezirk W. liegen vor dem Eingang der W.Bucht bzw. rund sechs Kilometer vor der Insel Poel und sind rund 17 bzw. 23 Kilometer vom Hafen in W.entfernt. Die äußerste Lotsenversetzposition im Lotsbezirk R. liegt rund 13 Kilometer vor W. und ist rund 17 Kilometer vom Überseehafen R. entfernt.
Gemäß § 3 W. – LV besteht für jeden Lotsbezirk eine Lotsenstation, von der der Einsatz der Lotsen erfolgt. Sie befindet sich für den Lotsbezirk W.in T. (Insel P.) und für den Lotsbezirk R. in W.. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der Allgemeinen Lotsverordnung – ALV – hat der Seelotse grundsätzlich jede Lotsung durchzuführen, für die er nach der Börtordnung bestimmt ist. Nach Abs. A 2, Lotsendienst allgemein, der Bört- und Dienstfolgeordnung der Lotsenbrüderschaft W. sind alle Seelotsen der Lotsenbrüderschaft verpflichtet, auf allen Fahrstrecken der drei Lotsbezirke zu lotsen. Jeder Lotse hat an 263 Tagen im Jahr 24 Stunden Rufbereitschaft. Außerdem hat jeder Lotse drei bis fünf mal im Jahr für jeweils eine Woche den Wachlotsendienst in einer Lotsenstation zu verrichten.
Die rufbereiten Lotsen werden vom wachhabenden Lots...