Entscheidungsstichwort (Thema)
Auszahlung eines nach Erteilung der Restschuldbefreiung entstandenen Einkommensteuererstattungsanspruch bei noch andauerndem Insolvenzverfahren an den Insolvenzschuldner
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein nicht von der Abtretungserklärung gem. § 287 Abs. 2 InsO erfasster Einkommensteuererstattungsanspruch, der nach Erteilung der Restschuldbefreiung entstanden ist, gehört als sog. Neuerwerb bei noch andauerndem Insolvenzverfahren nicht zur Insolvenzmasse, sondern zum insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners und ist daher an den Insolvenzschuldner auszuzahlen.
2. Über die Frage, ob ein Einkommensteuererstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehört und an den Insolvenzverwalter auszukehren ist oder ob er insolvenzfrei ist und demnach an den Insolvenzschuldner auszuzahlen ist, ist durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden.
Normenkette
InsO § 35 Abs. 1, §§ 80, 287 Abs. 2; AO § 218 Abs. 2, § 37 Abs. 1-2, § 47
Tenor
Abweichend von dem Abrechnungsbescheid vom 24. August 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. April 2013 wird das Abrechnungsguthaben des Klägers auf insgesamt 9.217,00 EUR festgesetzt.
Die gegen die Klägerin gerichtete Einspruchsentscheidung wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert beträgt 7.745,75 EUR.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Einkommensteuererstattungsanspruch als sog. Neuerwerb nach Erteilung der Restschuldbefreiung bei noch andauerndem Insolvenzverfahren zur Masse oder zum insolvenzfreien Vermögen gehört.
Die Kläger erzielten im Streitjahr 2011 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Ehemann und Ehefrau), Vermietung und Verpachtung und Kapitalvermögen (beides nur Ehefrau).
Über das Vermögen des Klägers (Ehemann) wurde mit Beschluss vom 29. September 2004 wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Insolvenzverfahren dauert derzeit noch an. Mit Beschluss vom 7. Oktober 2010 wurde dem Kläger Restschuldbefreiung erteilt, § 300 InsO.
Am 13. August 2012 erließ das FA einen Bescheid für 2011 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für die Kläger. Es handelte sich dabei um eine Festsetzung gegen das insolvenzfreie Vermögen. Antragsgemäß wurden die Kläger zusammen veranlagt. Nach Anrechnung der Lohnsteuer und des Zinsabschlages belief sich der Steuererstattungsanspruch der Kläger auf insgesamt 9.217,00 EUR (= 8.183,60 EUR Einkommensteuer, zuzüglich 432,50 EUR Solidaritätszuschlag und 600,90 EUR ev. Kirchensteuer). Abzüglich eines Masseanspruches von 6.778,01 EUR ergab sich für die Kläger eine Steuererstattung i. H. v. 1.405,59 EUR zuzüglich Solidaritätszuschlag i. H. v. 65,66 EUR. Mit dem Einkommensteuerbescheid war eine Aufteilung der einheitlichen Jahressteuerschuld auf die Kläger verbunden. Zeitgleich erging am 13. August 2012 ein Einkommensteuerbescheid für 2011 an den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Klägers. Dieser Bescheid betraf die Festsetzung gegen die Insolvenzmasse. Die Einkommensteuer war in diesem Bescheid auf Null Euro festgesetzt. Laut Anrechnungsverfügung dieses Bescheides ergab sich ein Erstattungsanspruch aufgrund Lohnsteuereinbehalts im Massevermögen i. H. v. 6.778,01 EUR zuzüglich 366,84 EUR Solidaritätszuschlag und 600,90 EUR Kirchensteuer (= 7.745,75 EUR).
Aufgrund des Antrags der Kläger vom 17. August 2012 erließ das FA am 24. August 2012 einen Abrechnungsbescheid für 2011 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer. In diesem rechnete es die Lohnsteuererstattungsansprüche 2011 des Ehemannes der Insolvenzmasse zu, da sie während des laufenden Insolvenzverfahrens begründet worden waren. Der Abrechnungsbescheid war an die Steuerberatungsgesellschaft der Kläger „für Herrn … G” gerichtet.
Am 04. September 2012 legte der Kläger vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten gegen den Abrechnungsbescheid Einspruch ein. Die vorgelegte Vollmacht war lediglich vom Kläger unterschrieben. Zur Begründung seines Einspruchs verwies der Kläger auf die im Jahr 2010 erteilte Restschuldbefreiung. Der Besteuerungszeitraum 2011 habe keinen Bezug mehr zum Insolvenzverfahren. Die Lohnsteuererstattung sei folglich nicht an den Insolvenzverwalter auszuzahlen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 23. April 2013 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung richtete sich an beide Kläger als Inhaltsadressaten. Zur Begründung verwies das FA darauf, dass der Lohnsteuererstattungsanspruch 2011 zu Recht der Masse zugeschlagen worden sei. Gemäß Beschluss des BGH vom 03.12.2009 (IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258) entfalle zwar nach Erteilung der Restschuldbefreiung der Insolvenzbeschlag hinsichtlich des Neuerwer...