rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Isolierter Prozesskostenhilfeantrag im finanzgerichtlichen Prozess ist möglich. Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Klagefrist. Billigkeitserlass
Leitsatz (redaktionell)
1. Im finanzgerichtlichen Prozess ist es möglich, innerhalb der Klagefrist lediglich einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag zu stellen, d. h. dem Prozesskostenhilfeantrag nur den (nicht unterschriebenen bzw. ausdrücklich als solchen gekennzeichneten) Entwurf der Klage bzw. des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung beizufügen, ohne hierdurch einen endgültigen Rechtsverlust durch die eintretende Bestandskraft der anzufechtenden Behördenentscheidung zu erleiden. Denn ein mittelloser Beteiligter, der eine Klage bzw. einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ankündigt, hat Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn er sein Prozesskostenhilfegesuch innerhalb der Klagefrist zusammen mit der Erklärung i. S. d. § 117 Abs. 2 bis 4 ZPO bei Gericht vorgelegt hat und wenn er nach Gewährung der Prozesskostenhilfe bis zum Ablauf der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO, die ab Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses läuft, per Post oder per Telefax die versäumte Handlung vornimmt.
2. Wird die Klage nicht sofort erhoben, obwohl es sich – wie im Streitfall nach § 47 Abs. 1 FGO – um eine fristgebundene Klage handelt, so kann das Gericht Prozesskostenhilfe nur dann gewähren, wenn wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet im Streitfall aus, weil die Antragstellerin nicht innerhalb der am 30.1.2012 abgelaufenen Klagefrist die nach § 117 Abs. 2 und 4 ZPO vordruckgebundene erforderliche Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Gericht eingereicht hat und sich die Antragstellerin nach der Rechtsprechung des BFH nicht auf Unkenntnis über die fristgerechte Abgabe dieser Erklärung berufen kann.
3. Ob die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass gemäß § 227 AO erfüllt sind, war hier nicht zu prüfen.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 Buchst. b, § 70 Abs. 2; FGO § 142; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2, 4; AO § 227
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Tatbestand
I.
Mit Bescheid vom 21. September 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Dezember 2011 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergelds für die Kinder der Antragstellerin, X und Y, ab Juni 2008 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und forderte das überzahlte Kindergeld für den Zeitraum Juni 2008 bis Juli 2011 in Höhe von 11.628 EUR zurück, weil die Antragstellerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sei und diese nur zum Bezug von Kindergeld berechtige, wenn sie sich mindestens 3 Jahre rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalte, eine berechtigte Erwerbstätigkeit ausübe oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) beziehe (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c und Nr. 3 EStG). Die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG lägen nicht vor, da die Antragstellerin im streitigen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten habe. Soweit das Kindergeld auf die gezahlten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) angerechnet worden seien, spiele dies bei der Beurteilung des Kindergeldanspruchs keine Rolle.
Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2012 beantragte die Antragstellerin für den Rechtsstreit – sie als Klägerin und die Familienkasse als Beklagte wegen Rückforderung des Kindergelds – mit der Überschrift „Antrag auf Prozesskostenhilfe und Klage”, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr Rechtsanwalt …, als Prozessbevollmächtigten beizuordnen. Sie sei aufgrund ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse außerstande, die Kosten des beabsichtigten Rechtsstreits zu tragen.
Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse werde sie alsbald nachreichen. Es werde daher bedingt für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bereits jetzt folgender Klageantrag gestellt: „Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 21. September 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Dezember 2011 wird aufgehoben. Die Vollstreckung wird ausgesetzt.” Die beabsichtigte Klage habe Aussicht auf Erfolg und sei nicht mutwillig. Der Rückforderungsbescheid vom 21. September 2011 sei rechtswidrig. Sie – die Antragstellerin – habe von Beginn des Kindergeldbezugs an der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei. Der Antragsgegnerin sei daher von Beginn an bekannt gewesen, dass die Voraussetzungen der Kindergeldbewilligung nicht vorgelegen hätten. Dennoch habe die Antragsgegnerin ihr – der Antragstellerin – von Juni 2008 bis Juli 2011 Kindergeld bewilligt und ausgezahlt. Sollte seitens des Gerichts ein...