rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für polnische Selbstständige nur bei Versicherungspflicht. Nichtgewährung von Differenzkindergeld verstößt nicht gegen europäischen Gleichheitssatz
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein in Deutschland selbstständig tätiger polnischer Staatsangehöriger ist nur dann nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b VO EWG 1408/71 kindergeldberechtigt, wenn er im Inland in einem gesonderten Alterssicherungssystem der Selbständigen versicherungs- oder beitragspflichtig oder in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.
2. Die Nichtgewährung von Differenzkindergeld verstößt nicht gegen den europäischen Gleichheitssatz.
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 13 Abs. 2 Buchst. b, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist polnische Staatsbürgerin. Sie unterhält seit 08.02.2005 einen Gewerbebetrieb im Inland; ihr Ehemann und ihre beiden schulpflichtigen Kinder leben in Polen. Im Verfahren über ihren Kindergeldantrag legte sie eine Bescheinigung vor, derzufolge ihr Ehemann in Polen von der dortigen Kasse der Sozialversicherung für Landwirte Familienleistungen für zwei Kinder bis zum 31.08.2005 bezogen hat. Nach weiteren Bescheinigungen wurde für die nachfolgende Zeit bis zum 31.08.2006 kein Antrag auf Familienleistungen in Polen gestellt und mitgeteilt, dass die Klägerin bis auf Weiteres als Landwirtin (Gattin) kraft Gesetzes bezüglich der Renten- und Unfallversicherung sowie Kranken- und Mutterschaftsversicherung der Sozialversicherung für Landwirte unterliegt.
Die beklagte Familienkasse lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.12.2005 und den hiergegen erhobenen Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 11.01.2006 ab. Die Klägerin sei zwar selbständig tätig, jedoch aufgrund dieser Tätigkeit nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland pflichtversichert. Eine selbständige Tätigkeit in Deutschland im Sinne der einschlägigen europäischen Rechtsverordnungen liege deshalb nicht vor, es seien allein die Kindergeldregelungen Polens maßgeblich. Da deutsches Kindergeldrecht von vornherein nicht anwendbar sei, komme auch die Zahlung von sog. Aufstockungsbeträgen auf das polnische Kindergeld bis zur Höhe des deutschen Kindergelds nicht in Betracht.
Mit der Klage rügt die Klägerin die Benachteiligung von Selbständigen gegenüber polnischen Arbeitnehmern in Deutschland, die Kindergeld erhielten, und die Ungleichbehandlung, die daraus entstehe, dass der Beklagte in vielen gleichgelagerten Fällen Kindergeld bzw. zumindest Aufstockungsbeträge gewähre.
Die Klägerin beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 01.12.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 11.01.2006 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, ihr Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz zu gewähren.
Der Beklagte (die Familienkasse) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung und die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Polen gehört seit dem 1. Mai 2004 zum Europäischen Wirtschaftsraum. Seitdem gilt für das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern – VO (EWG) 1408/71 – (aktualisierte Gesamtfassung in der Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 … VO (EG) 118/97 –, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG-Nr. L 28 vom 30. Januar 1997, S. 1, 13) i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO (EWG) Nr. 1408/71 – VO (EWG) 574/72 – (aktualisierte Gesamtfassung in der VO (EG) Nr. 118/97, ABlEG Nr. L 28 vom 30. Januar 1997, S. 1, 106).
1.1 Wer im Gebiet eines Mitgliedsstaates eine selbständige Tätigkeit ausübt, unterliegt zwar den Rechtsvorschriften des Tätigkeitsstaates (Art. 13 Abs. 2 Buchst. b VO (EWG) 1408/71). Ein in Deutschland selbständig tätiger polnischer Staatsangehöriger gilt aber nur dann als Selbständiger in diesem Sinne, wenn er – anders als die Klägerin – hier zugleich in einem gesonderten Alterssicherungssystem der Selbständigen versicherungs- oder beitragspflichtig oder in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist (VO (EWG) 1408/71, Anhang I Teil I Buchst. D).
1.2 Damit richtet sich die Gewährung von Kindergeld (Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71) im Streitfall ausschließlich nach polnischem Recht. Die Klägerin hat nach der gemeinschaftsrechtlichen Regelung in Deutschland auch keinen Anspruch auf Teilkindergeld in Höhe der Differenz zwischen dem polnischen und dem deutschen Kindergeld. Differenzkindergeld erhielte sie nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO (EWG) nur dann, wenn ihr Familienleistungen nach deutschem Recht zustünden und ...