Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß von Umsatzsteuer 1991
Tenor
1. Der Ablehnungsbescheid vom 22. Januar 1996 sowie die Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 1997 werden aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und die Klägerin je zur Hälfte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die von der Klägerin für 1991 geschuldete Umsatzsteuer, soweit sie auf § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1991 (UStG) beruht, aus Billigkeitsgründen zu erlassen ist.
Die Klägerin, die sonst als Hausfrau tätig war, erhielt von einer Firma H. am 24. April 1991 eine Rechnung mit einem Nettobetrag von 1.060.000 DM zuzüglich Umsatzsteuer über die Lieferung von zehn Pkw Mercedes 560 SEL. In gleicher Höhe und unter demselben Datum erteilte die Klägerin der Firma X in S. zehn Rechnungen, in denen sie jeweils (unter Angabe einer Fahrgestellnummer) über die Lieferung eines Mercedes 560 SEL zu einem Preis von netto 106.000 DM zuzüglich 14.840 DM Umsatzsteuer abrechnete. Zwischen der Klägerin und H. sowie X flossen keine Zahlungen.
Die ausgewiesene Vorsteuer ließ sich der Rechnungsempfänger X vom Beklagten (Finanzamt) vergüten, ohne daß es tatsächlich jemals zu einer Lieferung der abgerechneten Pkw kam. Die Rechnungsstellung war vielmehr Teil eines zwischen dritten Personen und X abgesprochenen planmäßigen Vorgehens, Vorsteuervergütungen durch fingierte Lieferungen zu erschleichen, die in fingierten steuerfreien Ausfuhren endeten. Insoweit wird auf das gegen X und den Ehemann der Klägerin ergangene, rechtskräftige Strafurteil des Landgericht …Bezug genommen (Bl. 60 der USt-Akte). Je Rechnung erhielt die Klägerin eine Provision von netto 1.000 DM (insgesamt 10.000 DM).
Mit bestandskräftigem Umsatzsteuerbescheid für 1991 vom 20. Oktober 1993 setzte das Finanzamt für 1991 eine Umsatzsteuer von 149.800 DM fest; darin war eine in Rechnungen unberechtigt ausgewiesene Steuer von 148.400 DM enthalten. Einen Antrag der Klägerin, diesen Bescheid im Wege der Änderung um diese 148.400 DM zu mindern, lehnte das Finanzamt mit Schreiben vom 9. März 1994 ab.
Am 10. Januar 1996 stellte die Klägerin einen Antrag gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) auf Erlaß der Umsatzsteuer 1991, den das Finanzamt am 22. Januar 1996 ablehnte. Den Einspruch dagegen wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 1997 als unbegründet zurück.
Gegen die letztgenannte Entscheidung des Finanzamts ist die Klage gerichtet. Zur Klagebegründung trägt die Klägerin vor, nach dem Urteil des EuGH vom 13. Dezember 1989 C-342/87 Genius Holding (EuGHE 1989, 4227, Umsatzsteuer-Rundschau 1981, 83, Randnr. 18) müsse jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer berichtigt werden können, wenn deren Aussteller seinen guten Glauben nachweise. Nach deutschem Recht müsse dies über die Regeln des Billigkeitserlasses geschehen, da eine Gesetzesanpassung bislang ausstehe. Bei der Erteilung der Rechnungen an Herrn X sei aber die Klägerin in gutem Glauben gewesen, daß die von ihr abgerechneten Lieferungen tatsächlich ausgeführt würden.
Neben den sachlichen Billigkeitsgründen lägen auch persönliche Billigkeitsgründe vor. Die Klägerin habe dem Finanzamt mitgeteilt, daß sie nicht mehr besitze, als aus den Steuerakten ersichtlich sei. Die Klägerin habe weder Grundvermögen noch Kapitalvermögen oder Betriebsvermögen. Sie sei auch erlaßwürdig, da sie die Rechnungen gutgläubig zur Verbesserung des Familieneinkommens und nicht als Beihilfe zur Erschleichung von Vorsteuern erstellt habe.
Im übrigen wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 3. März 1997 und 27. Februar 1998 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Finanzamt zu verpflichten, die Umsatzsteuer für 1991 in Höhe von 148.400 DM zu erlassen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auf den Schriftsatz des Finanzamts vom 20. Februar 1998 wird Bezug genommen.
Es wird ferner Bezug genommen auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage ist teilweise begründet.
Gemäß § 227 Abs. 1 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unbillig kann die Einziehung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis aus sachlichen oder persönlichen Gründen sein.
Das Gericht kann dabei nur die Ermessensausübung der Finanzbehörden gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überprüfen (Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 16. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603). Abzustellen ist hierzu auf die den Finanzbehörden im Zeitpunkt ihrer letzten Entscheidung (hier: der Einspruchsentscheid...