Entscheidungsstichwort (Thema)
Zivilprozesskosten bei Vorliegen der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Erfolgsaussichten als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. nach der Ehescheidung anfallende, auf einen früheren Ehevertrag zurückzuführende Kosten der Zwangsräumung der früheren Ehewohnung als außergewöhnliche Belastungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach der durch Urteil VI R 42/10 v. 12.5.2012 geänderten BFH-Rechtsprechung können Zivilprozesskosten aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols Kläger wie Beklagtem unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig i. S. d. § 33 EStG erwachsen. Unausweichlich sind derartige Aufwendungen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus der Sicht eines verständigen Dritten hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter dieser Voraussetzung sind diejenigen Prozesskosten abziehbar, die notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht überschreiten (Anschluss an die geänderte BFH-Rechtsprechung).
2. Der Abzug von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen setzt voraus, dass – entsprechend zum Prozesskostenhilfeverfahren – im Zeitpunkt der Klageerhebung die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus der Sicht eines verständigen Dritten hinreichende Erfolgsaussicht aufweisen muss; bei summarischer Prüfung muss der Erfolg mindestens ebenso wahrscheinlich sein wie ein Misserfolg.
3. Bestreitet die Klägerin nach der Ehescheidung die Wirksamkeit eines – den Vorsorgungsausgleich ausschließenden und die Nutzung der ehelichen Wohnung dem Ehemann zuweisenden – Ehevertrags und setzt sie sich gerichtlich gegen die von ihrem ehemaligen Mann veranlasste Zwangsräumung der Wohnung zur Wehr, sind die Kosten bezüglich der Wohnungsräumung als außergewöhnliche Belastungen abziehbar.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1
Tenor
1. Das Verfahren wird aufgenommen.
2. Der Einkommensteuerbescheid 2001 vom 31. Juli 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2003 werden dahingehend geändert, dass weitere agB von 11.840,90 Euro (vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung) berücksichtigt werden. Der Einkommensteuerbescheid 2002 vom 24. Juli 2003 und die Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2003 werden dahingehend geändert, dass weitere agB von 12.166,30 Euro (vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung) berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 81%, die Klägerin zu 19%.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Die Klägerin wird für die Streitjahre beim Finanzamt M (Beklagter), zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielte …. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Die Ehe der Klägerin wurde … geschieden; in diesem Verfahren erfolgte kein Versorgungsausgleich, und der Antrag der Klägerin auf Zuweisung der ehelichen Wohnung wurde abgelehnt. Das Amtsgericht stützte sich insoweit auf den Ehevertrag vom 19. Dezember 1990, der den Versorgungsausgleich für den Scheidungsfall ausschloss und die Nutzung der Ehewohnung regelte. Die Einwendungen der Klägerin dahingehend, dass der Ehevertrag sittenwidrig bzw. wirksam angefochten sei, blieben auch in weiteren Verfahren vor dem Landgericht M, dem Oberlandesgericht M und dem Bundesgerichtshof erfolglos.
Im Zusammenhang mit der Ehescheidung und den sich anschließenden Gerichtsverfahren machte die Klägerin in den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre folgende Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung (agB) geltend:
2001: |
DM |
Berufungsverfahren wegen Herausgabe |
705,00 |
Verfahren … wegen Allianz |
2.033,50 |
Gerichtsvollzieherkosten wegen Wohnungsräumung |
1.123,28 |
Gerichtskosten Beschwerdeverfahren Räumung |
50,00 |
Verfahren … wegen Amway |
13.192,67 |
Weitere Rechtsanwaltskosten wegen Räumung |
2.392,48 |
Verfahren gegen Allianz aus … wegen Räumung |
4.183,62 |
Anwalts- und Gerichtsvollzieherkosten wegen Räumung |
974,33 |
Kostenfestsetzungsbeschlüsse wegen Zwangsräumung |
375,95 |
Zinsen für Kredit zur Zahlung dieser Kosten |
3.904,45 |
2002: |
Euro |
Kosten für Rechtsanwälte des obsiegenden Exgatten |
10.907,15 |
Zinsen für Kredit zur Zahlung der Scheidungskosten |
1.208,80 |
Gesamt 2002 |
12.115,95 |
Die Gerichtskosten sowie die Kosten für die Rechtsanwälte des jeweils obsiegenden Exgatten resultierten aus Verfahren vor dem Amtsgericht M, Oberlandesgericht M sowie Bundesgerichtshof (jeweils in Sachen Willenserklärung, Räumung, Zahlung) sowie dem Amtsgericht M und Landgericht M (in Sachen Forderung).
Der Beklage lehnte in den Einkommensteuerbescheiden 2001 vom 31. Juli 2002 und 2002 vom 24. Juli 2003 die geltend gemachten agB im Wesentlichen mangels Zwangsläufigkeit ab. Anerkannt wurden lediglich für 2001 Scheidungskosten des Berufungsverfahrens in Höhe von 705 DM, die jedoch zusamme...