Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Kindergeld des Kindsvaters für in Ungarn bei der Mutter lebendes Kind für das diese ungarisches Kindergeld erhält
Leitsatz (redaktionell)
1. Der im Inland wohnhafte Vater des in Ungarn bei seiner Mutter lebenden nicht volljährigen Kindes hat gem. § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld, wenn die Mutter aufgrund ihres Wohnsitzes in Ungarn Familienleistungen erhält. Dem steht vorrangiges Unionsrecht nicht entgegen, wenn nach Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 der Wohnort des Kindes über die Leistungspflicht entscheidet, nach dem der Leistungsanspruch in beiden Ländern nur durch den Wohnsitz ausgelöst wird.
2. Wird der Leistungsanspruch im nach Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 nachrangig zuständigen Inland durch den Wohnort des Kindergeldberechtigten ausgelöst, scheidet gem. Art. 68 Abs. 2 S. 2 2. HS VO (EG) Nr. 883/2004 auch die Zahlung eines Differenzkindergeldes aus.
3. Bei der Bestimmung des den Leistungsanspruch auslösenden Grundes nach Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 ist auf die nationalen Rechtsvorschriften abzustellen (entgegen FG Münster, Urt. v. 9.5.2012 10 K 4079/10 Kg).
Normenkette
EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 2 S. 2; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 1 S. 1 Buchst. b; EGV 883/2004 Art. 2 Abs. 1
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 03.12.2014; Aktenzeichen III R 43/12) |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger ab Dezember 2010 für seine Tochter A., geb. am 12. Juni 2009, Kindergeld zusteht.
Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, arbeitet seit 1. Januar 2010 in T.
Die ungarische Mutter des Kindes, seine ehemalige Lebensgefährtin, war von Februar 2007 bis Juni 2010, zuletzt in Elternzeit, ebenfalls in T beschäftigt und bezog bis einschließlich November 2010 deutsches Kindergeld.
Zwischen September und November 2010 zog die Kindsmutter mit der Tochter in ihr Heimatland Ungarn. Ausweislich der Bescheinigung E 411 vom 1. März 2011 arbeitete sie seit 1. August 2010 nicht. Ungarn zahlt an sie seit 1. Dezember 2010, da sie bis einschließlich November 2010 Kindergeld in Deutschland erhalten habe, ein „child benefit” in Höhe von 13.700 HUF (= ca. 48 EUR – Wechselkurs am 1. Dezember 2010 –) sowie ein „child care aid” in Höhe von 28.500 HUF (= ca. 100 EUR) monatlich. Ausweislich der Bescheinigung E 401 vom 17. Dezember 2010 lebt die Tochter im Haushalt der Kindsmutter in Ungarn.
Am 19. November 2010 stellte der Kläger bei der Beklagten, der Familienkasse P, einen Antrag auf Kindergeld für die Tochter. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Februar 2011 mit der Begründung ab, dass die Kindsmutter die Tochter in ihren Haushalt aufgenommen habe und der Anspruch des Klägers somit nachrangig sei. Der hiergegen mit Fax vom 3. April 2011 eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg (vgl. Einspruchsentscheidung vom 11. April 2011).
Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung trägt der Kläger vor, da er in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei, habe er Anspruch auf das Kindergeld in Deutschland. § 64 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) sei nicht anwendbar. Zwar lebe die Tochter bei der Kindsmutter, diese arbeite jedoch nicht und sei in Deutschland nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Der deutsche Kindergeldsanspruch sei aufgrund seiner Beschäftigung in Deutschland vorrangig vor der durch den Wohnort ausgelösten ungarischen Familienzulage („családi potlék”) der Mutter. Er werde durch den ungarischen Kindergeldanspruch nicht verdrängt.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Familienkasse zu verpflichten, ihm gegenüber ab Dezember 2010 Kindergeld für A in Höhe von 184 EUR monatlich festzusetzen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Kläger erfülle die Voraussetzungen für einen steuerrechtlichen Kindergeldanspruch in Deutschland. Für die Tochter bestehe aber auch ein Anspruch auf Kindergeld in Ungarn. Die Differenz zwischen den ungarischen und den deutschen Familienleistungen könne gemäß § 64 Abs. 1 und 2 EStG i.V. mit Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (DVO) und dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. November 2009, Rs. C-363/08 in der Streitsache Slanina, nur die vorrangig berechtigte Kindsmutter geltend machen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat im Ergebnis zu Recht die Kindergeldfestsetzung für die Tochter A. gegenüber dem Kläger ab Dezember 2010 abgelehnt.
1. Die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch des Klägers für seine noch nich...