Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Kindergeld. Ermittlung der tatsächlichen Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Entscheidung, ob und ggf. in welcher Höhe eine Abzweigung von Kindergeld nach § 74 Abs. 1 EStG zu erfolgen hat, ist der Umfang, in dem der Kindergeldberechtigte tatsächlich Unterhalt geleistet hat, zu berücksichtigen.
2. Dabei ist zu beachten, dass der Unterhaltsanspruch eines Kindes auch die Kosten des Erziehungsunterhalts wegen freiwillig oder aufgrund staatlicher Eingriffe in Anspruch genommener fremder Hilfe umfasst (hier: Unterbringung eines Kindes auf Kosten des Landkreises in einer Jugendhilfeeinrichtung).
3. Bei der Ermittlung der tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten i.S. des § 74 Abs. 1 EStG kommt eine Pauschalierung von Fahrt- oder Unterkunftskosten nur dann in Betracht, wenn die tatsächlichen Kosten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu ermitteln sind (Beachtung des Monatsprinzips; kein Abstellen auf eine Durchschnittsberechnung, über einen mehrere Monate umfassenden Zeitraum; Ansatz von Pauschalwerten für die Unterkunft nach § 3 Abs. 2 SachBezV, die der tatsächlichen Sachverhaltskonstellation am nächsten kommen; keine Schätzung der Verpflegungskosten des Kindes mit den vollen Sachbezugswerten für vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unentgeltlich zur Verfügung gestellte Verpflegung).
4. Zur Zulässigkeit einer hälftigen Abzweigung des Kindergeldes nach pauschaler Bewertung der Unterhaltsleistungen.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1, 3, Abs. 4 S. 4; BGB § 1610 Abs. 2; FGO § 102; AO § 5; SachBezV § 3 Abs. 2; SGB VIII §§ 27, 41, 34
Tenor
1. Der Bescheid vom 14. November 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2006 wird insoweit aufgehoben, als die Abzweigung des Kindergeldes für M für die Monate Mai 2002 bis Juli 2004 abgelehnt wurde.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
5. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Abzweigung von Kindergeld an eine Unterhalt gewährende Stelle erfolgen kann.
I.
Der am …1986 geborene M war seit 08. April 2002 auf Antrag seines beigeladenen Vaters, im Förderungswerk D und ab August 2004 in der Jugendhilfeeinrichtung A untergebracht und erhielt dort auf Kosten des Landkreises Jugendhilfe gemäß §§ 27, 41, 34 Sozialgesetzbuch – SGB – Teil VIII in Form von Hilfe zur Erziehung. Weder der Beigeladene noch die Mutter des M wurden zu den Kosten der Jugendhilfe herangezogen.
Den vom Landkreis mit Schreiben vom 17. April 2002 gestellten Antrag auf Abzweigung des Kindergelds für M lehnte die Beklagte (im Folgenden: Familienkasse –FK–) mit Bescheid vom 30. Januar 2003 ab. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass keine Verletzung der Unterhaltspflicht vorliege. Den hiergegen fristgerecht eingelegten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 12. August 2003 als unbegründet zurück. In der Einspruchsentscheidung führte die FK ergänzend aus, dass eine Abzweigung ausscheide, weil der Beigeladene mindestens in Höhe des Kindergelds Unterhalt an M leiste. Aufgrund des hiergegen unter dem Az. 10 K 3849/05 geführten Klageverfahrens hat der erkennende Senat mit Urteil vom 26. Oktober 2005 den Bescheid vom 30. Januar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. August 2003 wegen Ermessensfehlern aufgehoben, soweit die Abzweigung von Kindergeld ab 01. Mai 2002 abgelehnt wurde, und die FK verpflichtet, den Landkreis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
Die FK forderte daraufhin den Beigeladenen mit Schreiben vom 10. Mai 2006 zu weiteren Angaben hinsichtlich seiner Wohnraumsituation, den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und den für M aufgebrachten Unterhaltsleistungen auf. Dieser erklärte, dass er für Heimfahrten des M Fahrkarten gezahlt habe, soweit diese Kosten nicht vom Heim bezahlt worden seien, M verköstigt und ihm Taschengeld gegeben habe. Zur Wohnraumsituation gab er an, dass er mit M und zwei weiteren Kindern in der Wohnung lebe. Des Weiteren legte er Bewilligungsbescheide über Arbeitslosengeld/-hilfe und Wohngeld und einen Teil seines Mietvertrags vor. Hierauf wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Daraufhin berechnete die FK auf der Grundlage zweier Bescheinigungen der Jugendhilfeeinrichtungen vom 06. Juli 2005 über die Aufenthaltszeiten des M beim Beigeladenen die Verpflegungs- und Unterkunftsaufwendungen nach der Sachbezugsverordnung. Zugrunde gelegt wurden Tagessätze für Verpflegung und Unterkunft von 12,64 EUR (2002), 12,85 EUR (2003) und 12,98 ...