Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung eines bestandskräftigen Kindergeldablehnungsbescheides wegen bisher nicht erfolgter Berücksichtigung der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge bei der Einkünfte- und Bezügegrenze
Leitsatz (redaktionell)
1. Haben materiell-rechtlich die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch im Jahr 2004 auch hinsichtlich des maßgeblichen Grenzbetrags vorgelegen, weil die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge des volljährigen, in Ausbildung befindlichen Kindes entsprechend dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG abzuziehen sind, hat die Familienkasse aber vor Ergehen der Entscheidung des BVerfG, noch vor Ablauf des Jahres 2004 in einer Prognoseentscheidung die Sozialversicherungsbeiträge nicht grenzbetragsmindernd berücksichtigt und deswegen die Festsetzung von Kindergeld für 2004 abgelehnt, so kann der bestandskräftig gewordene Ablehnungsbescheid nach § 70 Abs. 4 EStG geändert und nachträglich Kindergeld festgesetzt werden.
2. Im Gegensatz zu § 173 Abs. 1 AO kommt es nach dem Wortlaut des § 70 Abs. 4 EStG nicht darauf an, dass Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden. Das die Abweichung vom bisher zu Grunde gelegten Grenzbetrag auslösende Ereignis kann deshalb auch in einer von der bisherigen Rechtsprechung des BFH abweichenden verfassungskonformen Auslegung einer Norm durch das BVerfG liegen (gegen Schreiben des Bundesamtes für Finanzen vom 17.6.2005 St I 4 – S 2471 – 210/2005, BStBl. I 2005, 800 sowie DA 70.6 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs, DA-FamEStG).
Normenkette
EStG § 70 Abs. 4, § 32 Abs. 4 S. 2; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; AO § 173 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 25. November 2005 und der Bescheide vom 30. September 2004 sowie vom 30. September 2005 wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger für seine Tochter B für das Jahr 2004 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und seine am 15. Dezember 1983 geborene Tochter B (B) erklärten gegenüber der Familienkasse bei der Landeshauptstadt A (Familienkasse) mit Vordruck vom 27. Mai 2004 Werbungskosten der B bei nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 1.532,60 EUR. Unter Berücksichtigung von Werbungskosten in Höhe von lediglich 1.311 EUR sowie eines Gesamteinkommens aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 9.414 EUR erging am 30. September 2004 der Bescheid, dass dem Antrag des Klägers auf Kindergeld für B nicht entsprochen werde. Das für das Jahr 2004 voraussichtlich maßgebliche Einkommen in Höhe von 8.103 EUR liege über dem Grenzbetrag von 7.680 EUR. Die kindbezogenen Leistungen würden ab Januar 2004 nachgezahlt, wenn im Laufe oder nach Ablauf des Jahres 2004 nachgewiesen werde, dass die Einkommensgrenze nicht überschritten worden sei.
Am 30. Juni 2005 ging bei der Familienkasse der Kindergeldantrag des Klägers für B ein, mit dem Bruttoeinkünfte der B für das Jahr 2004 in Höhe von 9.492 EUR erklärt wurden. Außerdem wurde u.a. der für B am 3. Mai 2005 ergangene Einkommensteuerbescheid 2004 mit Werbungskosten in Höhe von 1.854 EUR bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit vorgelegt sowie auf die geänderte Rechtslage nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02) zur Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen bei der Berechnung des Jahresgrenzbetrags hingewiesen.
Mit Bescheid vom 30. September 2005 lehnte die Familienkasse den Antrag des Klägers vom 30. Juni 2005 auf Nachzahlung des Kindergeldes für B für 2004 unter Hinweis auf den bestandskräftigen Bescheid vom 30. September 2004 und eine entsprechende Weisung des Bundesamtes der Finanzen zur Anwendung des BVerfG-Beschlusses auf die nicht bestandskräftig entschiedenen Fälle ab. Im Einkommensteuerbescheid 2004 sei der Ansatz der Werbungskosten zu hoch, weil B 2004 wegen Krankheit an 20 Arbeitstagen gefehlt habe und deshalb bei der Entfernungspauschale nicht von 230 Tagen ausgegangen werden könne.
Der vom Kläger mit den in Ansatz zu bringenden Sozialversicherungsbeiträgen begründete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 25. November 2005 zurückgewiesen.
Die Klage begründet der Kläger im Wesentlichen wie folgt: Von dem Bruttogehalt des Kindes A in Höhe von 9.492 EUR seien neben den Werbungskosten in Höhe von 1.740 EUR entsprechend der Entscheidung des BVerfG vom 11. Januar 2005 Sozialversicherungsbeiträge des Ki...