Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsatz bei Verletzung von kindergeldrechtlichen Mitteilungspflichten
Leitsatz (redaktionell)
Die Frage, ob die Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung verlängert ist, bemisst sich bei der Verletzung einer Mitteilungspflicht u. a. danach, ob der Pflichtige bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre eindeutig eine Mitteilungspflicht erkennen konnte.
Normenkette
AO § 169 Abs. 1 S. 1; EStG § 70 Abs. 2
Tenor
1. Der Änderungsbescheid über die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld für das Kind F und die Rückforderung des Kindergelds vom 31. August 2010 wird für den Zeitraum Januar 2000 bis Dezember 2004 aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Beklagte (die Familienkasse) das für das Kind F für den Zeitraum Januar 2000 bis Dezember 2004 festgesetzte Kindergeld zu Recht aufgehoben und zurückgefordert hat.
Die Klägerin ist türkischer Herkunft, jedoch deutsche Staatsangehörige, und Mutter der Kinder D, geborene B am … Oktober 1976, I und S, beide geboren am … Februar 1979, und F, geboren am … Juli 1987, der ebenfalls deutscher Staatsangehöriger ist.
Mit Bescheid vom 2. Mai 1995 setzte das Arbeitsamt Deggendorf – Kindergeldkasse – gegenüber der Klägerin ab Januar 1995 Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz für die Kinder I, S und F fest. Im zugrundeliegenden Antrag auf Kindergeld vom 5. Januar 1995 hatte die Klägerin bestätigt, das Merkblatt über Kindergeld (Merkblatt) erhalten und davon Kenntnis genommen zu haben. In Ziffer 34 dieses Merkblattes wird darauf hingewiesen, dass der Kindergeldberechtigte verpflichtet ist, der Kindergeldkasse unverzüglich alle Änderungen in seinen Verhältnissen und den Verhältnissen seiner Kinder mitzuteilen, die für den Anspruch von Bedeutung sein können. Ziffer 35 des Merkblattes ist zu entnehmen, dass der Kindergeldberechtigte die Kindergeldkasse insbesondere davon benachrichtigen muss, wenn er, sein Ehegatte oder eines seiner Kinder unter Aufgabe seines Wohnsitzes ins Ausland verzieht, oder wenn er als ausländischer Staatsangehöriger im Bundesgebiet wohnt und sich eines seiner Kinder ins Ausland begibt, z. B. zur Schul- oder Berufsausbildung.
Nach dem 1. Januar 1996 erhielt die Klägerin für F Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz – EStG – (vgl. z. B. Kindergeldwiederbewilligungsverfügung und Kassenanordnung vom 15. Oktober 1996, Kindergeldänderungsverfügung und Kassenanordnung vom 17. November 1997).
Ab Anfang des Jahres 1999 wurde der Kindergeldanspruch für das Kind I überprüft. Mit bestandskräftigem Änderungsbescheid vom 17. November 1999 wurde die Festsetzung des Kindergelds für das Kind I ab Juli 1998 aufgehoben, und das für die Monate Juli bis November 1998 für dieses Kind überzahlte Kindergeld zurückgefordert.
Ab September 1999 wurde der Kindergeldanspruch für das Kind S überprüft. Nach Vorlage entsprechender Unterlagen, wurde die Kindergeldzahlung für S ausweislich der Kindergeldänderungsverfügung und Kassenanordnung vom 5. April 2000 ab April 2000 wieder aufgenommen und für S für den Zeitraum September 1999 bis März 2000 Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.810 DM nachgezahlt. Nach der Kindergeldänderungsverfügung und Kassenanordnung vom 5. April 2000 wurde Kindergeld auch für das Kind F gezahlt. Mit Schreiben der Familienkasse vom 5. April 2000 wurden Unterlagen für die Überprüfung des Kindergeldanspruchs für S ab Mai 2000 angefordert, und sodann die Kindergeldfestsetzung für S mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. September 2000 ab Mai 2000 aufgehoben.
Nachdem am 6. August 2003 von der Klägerin das für den Monat Juli 2003 für F gezahlte Kindergeld in Höhe von 154 EUR mit der Begründung zurück überwiesen worden war, dass F seit Juli 2003 bei der Firma Derya's Dorfschenke arbeite, wurde die Kindergeldzahlung für F am 14. August 2003 vorläufig eingestellt, mit Kindergeldwiederbewilligungsverfügung und Kassenanordnung vom 15. September 2003 jedoch ab August 2003 wieder aufgenommen, und auch das Kindergeld für Juli 2003 unter Hinweis darauf nachgezahlt, dass bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Kindergeld grundsätzlich unabhängig vom Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses gezahlt werde.
Mit zentral versandtem Bescheid vom 19. Mai 2005 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergelds für F wegen Vollendung des 18. Lebensjahrs im Juli 2005 ab August 2005 auf.
F besuchte jedenfalls bis Mitte des Schuljahres 1997/1998 die Grundschule in München. Ab Herbst 1998 bis zum Jahr 2006 setzte er seine Schulausbildung (Grundschule und Gymnasium) in der Türkei in Ünye fort und wohnte während dieser Zeit bei seinem Onkel.
Im Zuge der Ermittlungen zu einem am 27. März 2009 eingegangenen, von F gestellten Kindergeldantrag erhi...